Wasserschlachten in den Straßen
Danzig/Thorn (n-ost) – Polen gilt in Deutschland und Europa als streng katholisches Land. So ganz falsch ist das nicht: 95 Prozent der Einwohner sind katholisch, und die wenigen Polen, die nicht an Gott glauben, glauben zumindest noch an den polnischen Papst. Viele hierzulande verloren gegangene christliche Traditionen werden in Polen noch ausgiebig gepflegt. Besonders zu Ostern lässt sich dies gut studieren.
Wer nun aber auf die Idee kommt, einen österlichen Kurzurlaub ausgerechnet in einer polnischen Familie zu verbringen, wird bald um schmerzhafte Erfahrungen reicher sein. Klar, Osterkörbe, Osternester, Ostereier und Osterhasen - derlei Possierlichkeiten kennt man auch in Polen. Dazu aber lauern Gefahren aller Orten.
Das beginnt schon am Karfreitag. An diesem Morgen nehmen manche polnischen Eltern Wacholderzweige zur Hand und wecken ihre Kinder mit einem Schlag auf die Beine. „Sie sollen den Schmerz fühlen, um bewusst zu sein, dass Christus an diesem Tag am Kreuz gestorben ist“, erklärt der traditionsbewusste Kaschube Eugeniusz Pryszkowski, der in einem Dorf in der Nähe von Danzig lebt.
Zudem beginnt am Karfreitag der strengste Teil der Fastenzeit. Es ist die höchste Form der Selbstkasteiung: Man darf die köstlichsten Osterspeisen zwar liebevoll zubereiten und eine Auswahl – Eier, geräuchertes Schweinefleisch, Wurst, Kuchen, Salz und Pfeffer – in einem Körbchen zur Kirche tragen, um es dort am Ostersamstag vom Pfarrer mit Weihwasser segnen zu lassen. „Swieconka“ heißt dieser Ritus. Genascht werden darf vom Körbchen aber nicht, Fleisch ist absolut tabu. Beliebt wie gefürchtet sind stattdessen die „wiekuiste ciasteczka“, „ewige Plätzchen“, die aufgrund ihrer mürben Konsistenz ewig halten. Nur geistige Nahrung in Form von täglichen Gottesdiensten gibt es in diesen Tagen überreichlich.
Und in jeder Kirche stoßen die Gläubigen auf das Martyrium Christi: In der Nähe des Altars wird dazu ein symbolisches Grab für den Heiland aufgebaut.
Ausgehungert und schlaftrunken begeben sich in manchen Teilen Polens die Familien dann am Sonntagmorgen zum nächst besten Fluss für die so genannte Morgenwaschung. Die ist auch nötig, um in der Messe nicht einzuschlafen, die bereits um 6 Uhr morgens beginnt. Ganze Dörfer sind dann auf den Beinen, und die örtlichen Vereine legen ihre Festagsuniformen an. Nach dem Gottesdienst aber darf, nein muss endlich geschlemmt werden und zwar so viel und so lange, dass der ausgehungerte Magen schnell vollgeschlagen und von Schmerzen gepeinigt wird. Von allem muss probiert werden. Hefekuchen, Schinken, Brathering, Weißwurst, des herzhafte Krautgericht Bigos – der Pole liebts nicht nur zu Ostern deftig.
Wer denkt, mit dem Tag der Auferstehung habe das Leiden in der Nachfolge Christi ein Ende, hat noch nie einen polnischen Ostermontag erlebt. Für viele Polinnen ist er der schrecklichste Tag im Jahr. „Ich gehe dann den ganzen Tag nicht aus dem Haus, da es nervig ist, dass man immer total nass ist“, beschwert sich die 24-jährige Studentin Anna.
„Smingus-Dyngus“ heißt der seltsame Brauch, der an slawische Fruchtbarkeitsrituale erinnert, nach kirchlicher Lesart aber auf König Mieszko I. zurückgeht, der am Ostermontag 996 getauft wurde und sich stellvertretend für ganz Polen zum Christentum bekehren ließ. Mieszkos Taufe dient heute als Vorwand für Wasserschlachten im ganzen Land. Ursprünglich lauerten Jungs ihrer Angebeteten zu Hause auf. Mit ein paar Spritzern war die Sache getan. Und das Mädchen, das überhaupt kein Wasser abbekam, war regelrecht beleidigt, weil es als nicht begehrenswert galt.
Heutzutage sind auch Männer vor dem Wasser nicht mehr sicher. Alles, was laufen kann, wird begossen, und das gleich kübelweise. Aus Häuserfenstern hagelt es Wasserbomben. Und seit der Erfindung großkalibriger Wasserpistolen reicht es auch nicht mehr, um Gefahrenherde einen großen Bogen zu machen. „Sogar vor älteren Leuten, die in die Kirche gehen wollen, haben die Jugendlichen keinen Respekt“, klagt Studentin Anna. Was
Was „Smingus-Dyngus“ eigentlich bedeutet, weiß niemand mehr so recht. Nur eins sei sicher, es habe irgendetwas mit „geißeln“ zu tun. Wer also Ostern in Polen verbringt, sollte leidensfähig sein, und auf keinen Fall seinen Regenmantel vergessen.
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