Dresdner Qualität im sibirischen Opernhaus
Nowosibirsk (n-ost) - Minus 27 Grad zeigt die Digitalanzeige am Ploschtschad’ Lenina, dem Leninplatz in Nowosibirsk, der 1,5 Millionen-Stadt mitten in Sibirien. Der Dresdner Gerald Wolf hat sich die Mütze tief ins Gesicht gezogen, der sibirische Winter ist härter als der sächsische. Hier, mehr als 5300 Kilometer von zu Hause entfernt, baut er zusammen mit seinem Kollegen Hannes Dietrich am Akademischen Theater für Oper und Ballett. Die Männer der Dresdner Firma SBS Bühnentechnik rekonstruieren zusammen mit russischen Partnern die Maschinerie der Bühnentechnik im größten Theater Eurasiens.
60 Jahre alt wird das Architekturdenkmal im Frühjahr. Es war am 12. Mai 1945, kurz nach dem Sieg über Hitlerdeutschland, eingeweiht worden. Das heutige Wahrzeichen Nowosibirsks nannte sich ursprünglich „Theater für Technologie und realistische Atmosphäre“. Es war gedacht für Demonstrationen und Konferenzen. Wasserspiele, futuristische Projektoren und ein Planetarium sollten den Bau ergänzen, selbst Panzer sollten durch die Halle rollen können. Auch wenn diese Pläne nie verwirklicht wurden und das Gebäude heute zweckentfremdet die Oper beheimatet, so besticht der Bau durch seine Einzigartigkeit. Die riesige Betonkuppel ist 60 Meter breit und 20 Meter hoch.
Rund um das Opernhaus im Zentrum der Stadt stehen derzeit noch Dutzende Bauwagen wie in den Schnee gewürfelt. Im Inneren des sächsischen Wagens böllern zwei Heizkörper. „Eigentlich hatten wir einen für ausreichend gehalten, doch Fehlanzeige“, sagt Projektleiter Olaf Ulrich. Der Dresdner ist von einer chinesischen Baustelle nach Nowosibirsk gekommen, um sich mit Bauleiter Dietrich und Maschinenbauschlosser Wolf zu beraten. „Um wettbewerbsfähig zu sein, lassen wir die Stahlbauarbeiten hier vor Ort von russischen Firmen machen, zu günstigeren Preisen“, erzählt Ulrich. Mit der Qualität sei es wie überall: „Es gibt Leute und Firmen, die genau und zuverlässig arbeiten und andere, bei denen die Qualität nicht stimmt.“
Ein pelzbemützter Russe bringt ein Dokument zum Unterschreiben in die Baracke der Deutschen. Dolmetscher Sergej übersetzt. Er kommt aus Moskau und ist auch ein bisschen Mädchen für alles, kauft ein und organisiert Wochenendausflüge raus in russische Weiten. „Sersch“ nennen die Dresdner ihn.
Im November 2003 unterzeichneten die Männer von der SBS Bühnentechnik den Vertrag in Nowosibirsk. Seit Juni 2004 wohnen Wolf und Dietrich in der sibirischen Metropole in einer Wohnung nicht weit vom Theater. Deutsche Qualität wird hier geschätzt. Die Dresdner koordinieren, den Einbau übernehmen russische Arbeiter. „Klar bekommt man manchmal verwunderte Blicke, denn wir stellen schon ziemlich hohe Anforderungen und dann fragen unsere russischen Kollegen lieber nach“, erzählt Ulrich. Elektroanlagen und Computertechnik werden direkt aus Deutschland angeliefert.
Über eine schmale Steige geht es vorbei an der glänzenden Opernkuppel Etage für Etage hoch in den Bühnenturm, dort wo die Dresdner die technischen Anlagen rekonstruieren, die eine funktionierende Bühne braucht. Hannes Dietrich diskutiert mit seinem Kollegen Damir Rachimow den nächsten Arbeitsschritt. 30 mal 30 Meter und zwei Etagen groß ist der Platz, an dem die Männer arbeiten. „Irgendwie haben die Leute hier eine besondere Ruhe, das menschliche Untereinander ist mehr vorhanden. Man lacht hier ein bisschen öfter“, denkt Dietrich über die Unterschiede zu seinen russischen Kollegen nach.
Olaf Ulrich, der Chef, ist immer noch beeindruckt, dass hier in Asien alles doch ziemlich europäisch ist. „Und dieses Theaterhaus ist so groß, das sind ganz neue Dimensionen für uns“, fügt er hinzu. Nowosibirsk, die erst 111-jährige Stadt an der transsibirischen Eisenbahn, betrachtet er aus der Sicht des Ingenieurs: „Klar wirkt die geradlinige schnörkellose Bauweise hier erst einmal abstoßend. Aber es ist ja verständlich, dass bei den Bedingungen zwei Türen mehr wert sind als ein Balkon.“
„Was ich hier vermisse?“, Gerald Wolf kann es nicht so recht sagen, es gebe alles was man wolle, Cafés, Restaurants, Diskotheken. Seit elf Jahren fährt der 32jährige für seine Firma von Dresden-Niedersedlitz aus um die Welt, hat schon an Bühnen in China, Norwegen, der Schweiz und England mitgebaut. „Nach einigen Monaten China ist das anders, da freut man sich auf Roulade statt immer nur Hühnerfüße.“ „Na ja, und anders als hier wäscht in Dresden meine Frau die schmutzige Wäsche“, fügt Hannes Dietrich hinzu.
Alle zwei Monate gibt es Heimaturlaub für die Dresdner, dann fliegt einer der beiden vom Nowosibirsker Flughafen aus über Moskau gen Westen. Mit der russischen Sprache geht es nur langsam voran, das Schulrussisch hilft ein bisschen. Dolmetscher Sergej übersetzt die Konversation mit den Kollegen. „Hier auf der Baustelle kann man sowieso nichts lernen, die Monteure sprechen kein gepflegtes Russisch“, sagt der Russe und zwinkert.
Am 9. Mai, zum 60. Jahrestag des Sieges der Russischen Armee, soll die für 1,2 Milliarden Rubel (34 Millionen Euro) restaurierte Oper eingeweiht werden. Und eine Dresdner Firma hat dann mitgeholfen, wenn sich der Vorhang im fernen Sibirien wieder hebt.
*** Ende ***
Cornelia Riedel