"Russland den Russen"
Slawgorod (n-ost) – Wenn der 20jährige Student Igor Andropow aus Slawgorod zur Uni geht, dann trägt er immer dasselbe: Ein blaues Hemd und am rechten Arm eine rote Binde mit schwarzen Hammer und Sichel in einem runden weißen Kreis. Wer nicht genau hinsieht, glaubt die Hakenkreuzbinde eines SA-Manns vor sich zu sehen. Das ist Igor Andropows Parteiuniform, denn der streng gescheitelte junge Mann ist kein gewöhnlicher Student. Igor Andropow hat eine Vision und ist immer im Dienste seiner Partei unterwegs. „Ich bin mir sicher, wenn die National-Bolschewistische Partei (NBP) in Russland an der Macht wäre, dann könnten wir alle ökonomischen Probleme lösen“, schwadroniert der 20-Jährige.
Aus seiner schwarzen Ledertasche holt er eine Landkarte der Russischen Föderation heraus. Er zeigt auf Sibirien und spricht über die gewaltigen Schätze, die im Boden lagern: Erdöl und Erdgas. „Unser Land ist reich, aber unsere jüdische Regierung gibt den Reichtum nicht an das Volk weiter. Das reiche Russland muss sich von dieser Regierung befreien“, fordert er.
Andropow hat im Oktober 2004 eine Ortsgruppe der NBP im westsibirischen Slawgorod ins Leben gerufen. Die Kleinstadt mit 35 000 Einwohnern, 450 Kilometer südwestlich von Nowosibirsk gelegen, ist wie viele sibirische Siedlungen in einer schwierigen ökonomischen Situation: In der Stadt herrscht eine Arbeitslosigkeit von über 60 Prozent, die Kolchosen und Sowchosen liegen am Boden. Doch die Landwirtschaft ist in der mittelasiatischen Steppe nahezu die einzige Erwerbsmöglichkeit. Andropow nutzt geschickt die Zukunftsängste der Slawgoroder. Seit dem vergangenen Oktober sind über 300 Menschen Mitglieder seiner NBP geworden. Vor allem Jugendliche lassen sich von den rechten Parolen überzeugen.
1993 gründete der auch im Westen bekannte und erfolgreiche Schriftsteller Eduard Limonow die NBP. Offen agitierte er gegen die russische Regierung, gegen die Demokratie und vor allem gegen Ausländer in Russland. „Russland den Russen“, sagt der Slawgoroder Paladin Andropow und rückt seine Binde wieder in die rechte Position. Noch ist die NBP nicht in Parlamenten vertreten. 50 000 Mitglieder muss in Russland eine Partei haben, um überhaupt zu Wahlen zugelassen zu werden. Momentan liegt die Mitgliederzahl der NBP bei landesweit 24 000 Mitgliedern, Tendenz steigend.
Gerade sind neue Informationsbroschüren gedruckt worden, die unters Volk gebracht werden sollen. Auch Andropow hat schon einen ganzen Stapel an Kommilitonen oder Passanten auf der Straße verteilt. Bunt bedruckt sind sie und der Bär Winnie Puh lockt: „Bist du klug und liebst Russland, dann komm in die NBP“. Limonow will mit seiner Partei gesellschaftsfähig werden und hofft auf die sich herausbildende russische Mittelschicht.
Andropow hingegen fand die alten Broschüren besser. Da warben schon mal Handgranaten und Skeletten in Uniformen, die stark an die SS-Kleidung erinnerten, für die Ziele der Partei. „Naja, wenn wir uns etablieren wollen, dürfen wir nicht so aggressiv auftreten. Da müssen wir Kompromisse machen“, sagt Andropow.
Ein Blick in das Parteiprogramm der NBP offenbart die abstruse Weltsicht: Da gibt es Elemente des Nationalsozialismus, des Faschismus und paradoxerweise auch des Bolschewismus. Es ist vom russisch-asiatischen Reichtum die Rede, vom der Rückgabe der Produktionsmittel in die Hände des russischen Volkes und von der Hegemonialstellung der Russen. Erschreckend offen wird ein Antisemitismus propagiert, von einer jüdischen Verschwörung gegen das russische Volk ist die Rede. „Viele Russen sind gegen die jüdische Ausbeutung und die Korruption im Land“, liefert Andropow dafür die Erklärung.
In Russland sehen nur wenige die Gefahr, die durch die NBP droht. Andropow kann in Slawgorod unbehelligt für die Partei werben Er steht auf den Märkten der Stadt, geht sogar in die Klassen der Oberstufe, um über die NBP zu informieren. „Da verlasse ich selten das Klassenzimmer, ohne neue Mitglieder gewonnen zu haben“, erzählt Andropow und freut sich über seinen Erfolg. „Putin rechnet noch damit, dass wir nie die 50 000 Mitglieder zusammen bekommen, um zu Wahlen zugelassen zu werden. Aber diese Rechnung des Präsidenten wird nicht aufgehen.“
Mit Edward Limonow steht hinter der NBP ein finanzstarker Mann. Die Bücher des Literaten, der wegen angeblicher Staatsstreichpläne und illegalen Waffenbesitzes zeitweise in russischen Gefängnissen saß und sich geschickt zum Märtyrer stilisierte, verkaufen sich „wie warmes Brot“ (3Sat-Literaturzeit). Und die Tantiemen aus den Buchverkäufen fließen auch in die Kassen der Partei. In Deutschland ist Limonows Buch „Fuck off, Amerika!“, eine Abrechnung mit dem amerikanischen Traum, erst im März 2004 im renommierten Verlag Kiepenheuer&Witsch neu aufgelegt worden und lässt sich bequem über amazon.de bestellen. Eine Anfrage bei Kiepenheuer&Witsch in Köln ergab, dass die seit über zehn Jahren andauernden antisemitischen Machenschaften Limonows dort unbekannt seien. Man wolle den Fall aber nun prüfen.
Im Jahre 2000 äußerte sich Limonow in Deutschland in der rechten Zeitung „Junge Freiheit“: „Natürlich sind wir Revolutionäre. Wir vereinigen Kommunismus und Nationalismus, die untrennbar zusammengehören“. Und weiter: „Desweiteren müssen die Grenzen Russlands neu gezogen werden. Russisch-besiedelte Gebiete wie Ost-Estland oder Nordkasachstan müssen zurückgeholt werden.“
Seit Jahren finanziert der deutsche Leser indirekt die Ausbreitung der NBP und ihrer Ideologie mit. Kleine Ortsgruppen wie die in Slawgorod gehen dann mit frisch-gedrucktem Infomaterial auf Mitgliederfang. Zum 60. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Hitler-Deutschland plant Andropow in Slawgorod eine große Kundgebung am Kriegerdenkmal der Stadt. Die Administration hat diese Kundgebung schon genehmigt. „Gerade werde für alle Mitglieder der NBP die Parteiuniformen geschneidert“, sagt Andropow. Wenn die Kriegsveteranen am 9. Mai die zahlreichen roten Armbinden sehen, werden viele von ihnen schmerzlich an das Zeichen erinnert werden, dass ihre Feinde im Großen Vaterländischen Krieg trugen und gegen das sie gekämpft haben.
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Hintergrund
Eduard Limonows NBP
Eduard Limonow (62) ist das Pseudonym des russischen Schriftstellers und Poeten Eduard Sawenko. Limonow wurde in den 1970ern als russischer Untergrundliterat berühmt und eckte schon früh mit den Behörden an. Er wurde als bekannter Dissident des Landes verwiesen, lebte einige Zeit in New York und Frankreich schrieb dort den auch hierzulande bekannte Roman „Fuck off, Amerika“, von dem er bis Anfang der 90er Jahre unter verschiedenen Titeln international allein 1,5 Millionen Exemplare verkaufte. 1991 erkannte ihm Michail Gorbatschow wieder die russische Staatsbürgerschaft zu. Danach wurde sein politisches Handeln endgültig anti-westlich. Er unterstützte die Putschisten gegen Boris Jelzin, kämpfte auf Seiten der Serben im Jugoslawienkrieg. Er gehörte als designierter Innenminister zum Schattenkabinett des Nationalisten Wladimir Schirinowski und gründete schließlich die Nationalbolschewistische Partei Russlands (NBP). Limonow gilt mittlerweile als Antisemit und Rassist. Er fordert mit seiner NBP die Verstaatlichung des Eigentums, den Boykott westlicher Waren und beschimpft russische Liberale als Marionetten des Westens. Insbesondere in der alternativen Jugendkultur und unter Intellektuellen findet er seine Anhänger.
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Tobias Zihn