Der Anatom und sein Vater
Sieniawa (n-ost) Ein deutscher Anatom plant in Polen, 60 Jahre nach Auschwitz, eine Fabrik zur „Endverarbeitung“ konservierter Leichenteile aufzubauen. Vor Ort führt die Geschäfte sein 88-jähriger Vater, der schließlich von polnischen Medien als Mann mit SS-Vergangenheit enttarnt wird. Als der Sohn davon hört, bekennt er bestürzt, nie mit seinem Vater über Kriegserlebnisse gesprochen zu haben.
Hätte sich diese Geschichte ein Schriftsteller ausgedacht, man hätte ihm vielleicht eine blühende Phastasie unterstellt. Doch die Story ist Realität, zugetragen hat sie sich im polnischen Dorf Sieniawa, 50 Kilometer von Cottbus entfernt, kurz hinter der deutsch-polnischen Grenze.
Seit bekannt wurde, dass „Körperwelten“-Macher Gunther von Hagens hier das Gelände einer alten Maschinenfabrik erworben hat, um zunächst Teile seiner „Körperwelten“-Ausstellung zwischenzulagern und später einen Betrieb zur „Plastination“ von Menschen- und Tierpräparaten aufzubauen, befasst sich ganz Polen mit dem unscheinbaren Ort und dem deutschen Anatom. 300 Arbeitsplätze sollen entstehen, 15 Millionen Euro in der strukturschwachen Region investiert werden. „Doch zu welchem Preis?“, fragt sich das katholische Polen.
Bereits vor Bekanntwerden der SS-Vergangenheit seines Vaters durch Recherchen der Tageszeitung „Rzeczospolita“ und des „Spiegel“, verglichen einige Medien die Arbeit des Heidelberger Anatoms mit NS-Methoden. Die Präparate erinnerten an Seifen und andere Produkte, die die Nazis in Konzentrationslagern aus menschlichen Leichen herstellten.
Dann wurden die schlimmsten polnischen Befürchtungen mit einem Schlag bestätigt: Von Hagens 88-jähriger Vater, der für ihn in Polen die Geschäfte führt und derzeit die Fabrik aufbaut, war während des Zweiten Weltkrieges als SS-Mann im damaligen Warthegau an der Verfolgung von Polen maßgeblich beteiligt.
Gerhard Liebchen, der Vater von Hagens, wurde 1916 im damals polnischen Ort Alt-Skalden (Skalmierzyce) in der Nähe von Kalisz geboren. Bereits als Jugendlicher begann er nach Angaben von „Rzeczpospolita“ mit geheimer, politischer Tätigkeit für die Nazis. 1934, also im Alter von 18 Jahren, wurde er Leiter einer lokalen paramilitärischen Vereinigung. Im April 1939 erfolgte seine Festnahme durch die polnische Polizei. Nach Angaben des „Spiegel“ liegen SS-Akten vor, nach denen sich Liebchen nach dem deutschen Überfall auf Polen den NSDAP und dem paramilitärischen „Selbstschutz Posen“ anschloss, der für Racheaktionen an Polen berüchtigt war. Die SS habe Liebchen später unter der Mitgliedsnummer SS 374 728 registriert, später sei er zum SS-Unterscharführer aufgestiegen.
„Rzeczospolita“ zitiert einen Zeitzeugen, der Liebchen für das Anfertigen von Deportationslisten für deutsche Konzentrationslager verantwortlich macht. Für seine Heirat habe Liebchen eine besondere Form der SS-Eheweihe gewählt. Dem Paar wurde am 10. Januar 1945 ein Sohn geboren, den es auf den Namen Gunter Gerhard Liebchen taufte, der dann als Anatom in West-Deutschland Karriere machte und sich später in Gunther von Hagens umbenannte. In Polen wird Vater Liebchen in Anlehnung an den Spitznamen seines Sohnes „Doktor Tod“ nun „Vater Tod“ genannt.
Monatelang lebte Gerhard Liebchen auf dem Gelände in Sienawia, um die Einrichtung der Fabrik seines Sohnes voranzutreiben. Er hatte sich bereits eine Villa als Altersruhesitz gekauft. Vergangene Woche noch erklärte Liebchen in akzentfreiem Polnisch, dass eine polnische Großmutter habe und dass es im Mittelalter doch ganz selbstverständlich gewesen sei, wenn Polen, Russen, Deutsche und Juden zusammenlebten. „Jetzt endlich haben wir das gemeinsame Vaterland Europa und darauf sollen wir uns konzentrieren.“
Kurz nach Bekanntwerden seiner SS-Vergangenheit ist Gerhard Liebchen dann vom Sitz der Firma „Von Hagens Plastination Company Sieniawa G.m.b.H.“ verschwunden und vermutlich in sein Haus nach Heidelberg gefahren.
Gunter von Hagens, der erst seit seiner Heirat diesen Nachnamen trägt, zeigte sich bestürzt von den Enthüllungen über seinen Vater. Bislang habe er nichts von dessen NS-Vergangenheit gewusst. „Mein Vater lehnte bisher jedes konkrete Gespräch über seine Kriegserlebnisse mit der Begründung ab, er wolle uns Kinder nicht mit der Vergangenheit belasten.“ Nun aber habe er erstmals offen geredet und angeboten, sich von den polnischen Geschäften zurückzuziehen und stattdessen einen polnischen Staatsbürger mit der Aufgabe zu betrauen. „Dieses Angebot habe ich angenommen“, erklärte von Hagens weiter. „Ich halte es angesichts deutscher historischer Schuld, in der auch ich als Nachkriegsgeborener stehe, für unverzichtbar, das mein Unternehmen personell jenseits allen Zwewifels unbelastet ist.“
Nach seinen eigenen Angaben habe sein Vater niemals an Pogromen oder Unterdrückungsmaßnahmen gegen die polnische Bevölkerung teilgenommen, auch habe er keine Listen zur Deportation von Menschen in Konzentrationslager angefertigt. Der Fall wird nun aufgerollt werden. Inzwischen kündigten Staatsanwalt Jozef Krenz und das polnische Institut für das nationale Gedächtnis Ermittlungen gegen den ehemaligen SS-Unterscharführer Liebchen an.
Ob von Hagens mit seinem Projekt in Polen noch eine Chance bekommt, bleibt abzuwarten. Der Druck der polnischen Öffentlichkeit ist riesen groß, aber in der Region um Sieniawa herrscht eine Arbeitslosigkeit von bis zu 30 Prozent. 300 Arbeitsplätze sind da ein gewichtiges Argument. Gemeindevorsteherin Krzystyna Korzeniowska ist eigentlich gegen die Ansiedlung. „Aber ich weiß selbst nicht, wie ich abstimmen soll. Die Menschen hier warten doch auf Arbeit.“
*** Ende ***