Armenien

Wachsender Antisemitismus in Armenien

Für ein Land, in dem es kaum Juden gibt, ist wachsender Antisemitismus ein überraschendes Phänomen. Doch mehrere Zwischenfälle innerhalb weniger Monate beunruhigen die nur 900-Mitglieder große jüdische Gemeinde in Armenien im Süd-Kaukasus.

Die wahrscheinlich ärgsten Attacken auf die jüdische Gemeinde gehören auf das Konto von Armen Avetisian, dem Leiter einer kleinen rechtsradikalen Partei, der Union Armenischer Arier. „In Armenien leben 50.000 getarnte Juden“, verlautbarte er vor kurzem in einem Presse-Interview. Er werde alles tun um diese zu identifizieren und aus dem Land zu vertreiben.

Rassistische Äußerungen sind für eine ultraradikale Gruppe nichts Ungewöhnliches; doch die Lage verschlimmerte sich, als auch ein populärer Fernsehkanal sich dem antisemitischen Chorus anschloss. Tigran Karapetian, Besitzer des ALM Fernsehsenders, und Anführer der nationalistischen Volkspartei, verbreitet seit Monaten in einer von ihm moderierten Talkshow judenfeindliche Hassreden. Wiederholt beschrieb er Juden als eine unersättliche Rasse, die die ganze Welt dominiere und es jetzt auch auf Armenien abgesehen habe.

Zum Feind gemacht

Wie ist es dazu gekommen, dass ein Land, in dem es so gut wie nie Probleme mit Minderheiten gab, jetzt eine antisemitische Welle erlebt? Auch die jüdische Gemeinde ist ratlos. „Bis jetzt hatten wir nie Probleme in Armenien“, sagt Rimma Varzhapetian, Vorsteherin der Gemeinde. Armeniens kleine jüdische Gemeinde entstand erst in den 60er Jahren, als viele Wissenschaftler und Akademiker vor dem Antisemitismus in Russland und der Ukraine flohen. In Armenien fanden sie eine vergleichsweise liberale und tolerante Umwelt und integrierten sich problemlos in die dortige Gesellschaft. Viele Juden sind inzwischen mit Armeniern verheiratet und tragen armenische Namen.

„Der zunehmende Antisemitismus basiert auf der Behauptung, dass Juden in den armenischen Genozid von 1915 verwickelt seien“, sagt Mikael Danielian, Leiter der Armenischen Helsinki Assoziation, einer lokalen Menschenrechtsgruppe. Seit nunmehr fast 90 Jahren dauert die schmerzvolle Debatte über die Schuld der Türkei an diesem Völkermord an, der zum Tod von 1,5 Millionen Armeniern führte. Die Türkei hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, die internationale Aufklärung über diesen Genozid zu unterdrücken. Erst im Januar 2005 gab es in Potsdam einen Skandal, nachdem die brandenburgische Landesregierung auf Initiative des türkischen Botschafters in Berlin einen Verweis auf den Genozid aus den Schulbüchern des Bundeslandes tilgen ließ.

Der Zusammenhang zwischen dem Genozid und den Juden wurde vor allem von einem bis dahin kaum bekannten armenischen Schriftsteller hergestellt. In seinem Buch, „Das Nationale System“, bezeichnet Romen Episkopian die Juden als „Zerstörernation“ und den Holocaust als Mythos. Eine Rolle spielten auch Aussagen des israelischen Botschafters in Armenien im April 2003, kurz vor dem offiziellen Gedenktag an den Genozid. Er erklärte öffentlich, dass Israel die Ereignisse von 1915 nicht als Genozid anerkenne. Daraufhin verbrannten nationalistisch gesinnte Jugendliche während eines Gedenkmarsches eine mit dem Davidstern bemalte türkische Fahne. Die Jugendlichen gehörten der Jugendfraktion der Koalitionspartei Dashnaktsutiun an.

Im Zuge dieser antisemitischen Zwischenfälle wurde auch die jüdische Gemeinde zum Ziel von Attacken. Die Tür des Gemeindehauses wurde mit einem Hakenkreuz beschmiert. Drohanrufe folgten. Und während die Gemeinde im September ihr Neujahr feierte, schändeten Unbekannte das Holocaustdenkmal in der Hauptstadt.

Geduldet vom Staat

Bisher ist die Reaktion der armenischen Behörden bescheiden ausgefallen. Als sich die jüdische Gemeinde nach den ersten Vorfällen an die Regierung wandte, antwortete ein hochrangiger Ministerangestellter, dass den Armeniern jegliche Diskriminierung fremd sei. Dagegen ließ sich die Leiterin der Regierungsabteilung für Religions- und Minderheitsangelegenheiten, Hranusch Kharatian, zu antisemitischen Äußerungen hinreißen. „Warum reagieren wir nicht auf die Tatsache, dass die Juden während ihrer Freitagsversammlungen extreme Intoleranz gegenüber allen Nicht-Juden predigen“, sagte sie kürzlich in einem Interview mit der russischsprachigen Zeitung „Golos Armeniji“. Als die jüdische Gemeinde eine Entschuldigung forderte, erwiderte Hranusch Kharatian, dass ihre Aussagen sich auf den Talmud bezögen und es daher nichts zu entschuldigen gäbe.

In einem Anfang 2005 von der amerikanischen Regierung veröffentlichten Bericht über globalen Antisemitismus wird Armenien mit mehreren Zwischenfällen kritisch erwähnt. Der Bericht bemerkt auch, dass antisemitische Attacken in Osteuropa, wie auch in Armenien, vor allem aus rechtsradikalen Kreisen kommen, während antisemitische Vorfälle im Westen eher mit wachsendem Islamismus in Verbindung stünden.

Kurz nach Veröffentlichung dieses Berichtes wurde Armen Avetisian aufgrund von Anstiftung zum Rassenhass verhaftet. Doch das Problem ist damit nicht gelöst. Armenische Oppositionsparteien fordern bereits Avetisians Freilassung bis zum Beginn des Verfahrens. Mikael Danielian, bekannter armenischer Menschenrechtler, ist über die bislang ergriffenen Maßnahmen enttäuscht: „Solange die Regierung keine deutlichen Schritte unternimmt wird sich nichts ändern.“


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