Offene Wunden
Filme über die Kollaboration mit dem kommunistischen Geheimdienst StB hat es in Tschechien bisher nicht gegeben. Und das aus „gutem“ Grund: Zwar lesen auch die Tschechen durchaus neugierig die Schlagzeilen über ehemalige Mitarbeiter und Informanten der StB, aber das Interesse vor allem an prominenten Fällen wie dem in Paris lebenden tschechischen Schriftsteller Milan Kundera, der 1950 angeblich einen antikommunistischen Aktivisten bei der Polizei angezeigt und ihn damit in die Zwangsarbeit geschickt haben soll, lässt auch schnell wieder nach. Alle Tschechen – auch Nicht-Betroffene – haben ein unbeschränktes Recht auf Einsicht in die Akten der ehemaligen StB. Im Jahr 2008 wollten allerdings lediglich 4.089 Menschen das etwa 19 Regal-Kilometer umfassende Schriftgut durchforsten. Die dunklen Kapitel der jüngsten tschechoslowakischen Vergangenheit werden mehrheitlich ausgeblendet. Eine breite gesellschaftliche Debatte wird so verhindert.
Gros der Regimehelfer ist ungeschoren davongekommen
Das mag daran liegen, dass nach der gelungenen Samtenen Revolution der Schwarze Peter pauschal den Kommunisten zugeschoben wurde. Alle anderen, also alle, die den Umbruch von 1989 mitgetragen hatten oder auch nur nachträglich begrüßten, gehörten zu den „Guten“ und betrachteten sich als gleichermaßen unschuldig oder wurden so betrachtet. Vergangen ist vergangen, was darüber hinausgegangen wäre, galt ebenso als „Bespitzelung“, und das gehörte sich in Nachwende-Zeiten nicht. Nur so wurde es möglich, dass das Gros der einfachen und hochrangigen Regiemehelfer bis heute ungeschoren davongekommen ist.
Glücklicherweise verweigern sich aber nicht alle dem Diskurs: Jan Hřebejk hat die Kommunismuszeit in seinem jüngsten Film „Kawasaki-Rose“ so vielschichtig beleuchtet, wie es das titelgebende komplizierteste Gebilde in der japanischen Falttechnik Origami andeutet. Falz für Falz setzt sich die Geschichte zusammen und bringt immer neue Facetten ans Licht. Entstanden ist ein spannender 100-Minüter, der die geballte Vorstellungskraft des Zuschauers fordert. „Kawasaki-Rose“ hat es in diesem Jahr als einziger tschechischer Film auf die Berlinale geschafft. Das Publikum hat den „Panorama“-Eröffnungsfilm gefeiert.
Emotionsgeladene Vergangenheitsbeschreibung
Anfangs scheint die Geschichte unspektakulär: Pavel Josek, ein renommierter Prager Psychiater und ehemaliger Dissident, soll eine bedeutende Staatsauszeichnung für seinen Widerstand gegen die Kommunisten erhalten. Ein Fernsehteam will zuvor noch seine Geschichte erzählen. Aber dabei kommt ein dunkles Geheimnis ans Licht: Josek soll früher für die StB gearbeitet haben – so glaubt es jedenfalls sein unliebsamer Schwiegersohn Luděk.
Die Vorwürfe bringen eine Lawine ins Rollen und stellen die Familienbande auf eine harte Probe. So erfährt Tochter Lucie, was Josek und seine Frau vor ihr verheimlichen wollten: Josek ist nicht Lucies wirklicher Vater. Den hatten die Kommunisten ins Exil getrieben – mit Hilfe von Informationen, die Josek dem Geheimdienst geliefert hatte. Lucie kann das nicht ertragen und bricht auf nach Schweden, um dort ihren leiblichen Vater zu treffen.
Der Film kommt ohne Rückblenden aus und lässt den Zuschauer trotzdem während der emotionsgeladenen Vergangenheitsbeschreibungen schaudern: So erklärt ein Greis, der einst die gefürchteten Verhöre bei der StB geführt hat, dass er niemanden foltern musste, um an Informationen zu kommen. „Verhöre zu führen, ist eine Kunst“, sagt er mit einem höhnischen Grinsen.
Keine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse
Im Laufe des Films machen die Hauptfiguren erstaunliche Entwicklungen durch: Tochter Lucie reift vom kritiklosen Papakind zur selbstbestimmten Frau, während der vermeintliche Held als Verräter entlarvt wird, um nur wenig später im Büßergewand ins Rampenlicht zu treten.
„Mit einer Hure auf einen Kaffee zu gehen ist in Ordnung, mit ihr aufs Zimmer zu gehen ist unmoralisch. Man hat versucht zu sehen, wo genau diese Grenze ist. Das Problem der Menschen in den Händen der Stasi war: Sie haben nicht geahnt, dass sie schon längst auf dem Zimmer sind“, sagt Josek und fasst zusammen, worum es in dem Film geht: Nicht um die klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse, sondern darum, dass es einen Graubereich gab. Menschen wurden zu Tätern – aus zahlreichen Gründen. Manche haben die Fronten gewechselt und gegen die Peiniger gekämpft, zu denen sie einst selbst zählten. Wer ist nun Täter, wer Opfer? Wer war verantwortlich und wer hat nur geholfen? Viele Fragen, die in „Kawasaki-Rose“ glücklicherweise ohne vorgefertigte Antworten auskommen.
„Auch wir Tschechen bemühen uns“
Der Film ist bereits der neunte, den Jan Hřebejk mit Drehbuchautor Petr Jarchovský umgesetzt hat. Normalerweise sind die beiden für ostalgische Geschichtsrückblicke mit schwarzem Humor bekannt. Und so ist es dem tschechischen Erfolgsduo auch nicht leicht gefallen, dieses Kapitel der eigenen Geschichte so ernsthaft zu beleuchten: „Wir haben diese Zeit selbst miterlebt und waren lange nicht fähig, daraus ein Drama zu machen. Für mich war das ein sehr tiefsitzendes, sehr wichtiges Thema, dass wir erst jetzt, mit einem 20-jährigen Abstand, angehen konnten“, erklärt Jan Hřebejk. Aber warum sträuben sich seine Landsleute so sehr, dieses Kapitel ihrer Vergangenheit aufzuarbeiten? Eine Antwort hat der Filmemacher auch nicht: „Wir können mit unserem Film nur versuchen, die Menschen zu inspirieren und zu zeigen, dass auch wir Tschechen uns bemühen.“