Russland

Jeden Tag ein Grund zum Feiern

Berge von Pfannkuchen duften, Strohpuppen brennen, Männer balgen sich johlend auf freiem Feld – mit der Butterwoche wird in Russland der Winter verabschiedet. Sie steht am Anfang des russischen Festtagskalenders, der nahezu täglich einen Grund zum Feiern nennt. Fehlt selbiger doch einmal, trifft man sich trotzdem und vertraut auf die russische Redensart: "Ein Grund findet sich immer."

Was für ein Land! Wenn in Russland ein Feiertag aufs Wochenende fällt, wird er – das ist gesetzlich garantiert – am darauf folgenden Arbeitstag nachgeholt. Brückentage erklärt die Regierung oft ebenfalls zum freien Tag und ordnet dafür später einmal eine Sechs-Tage-Woche an. Ohne Unterbrechung feiert es sich einfach besser. Vor wenigen Jahren erst wurden drei zusätzliche freie Tage im Januar eingeführt, sodass die Neujahrsferien nun ganz offiziell vom 1. bis zum 5. Januar dauern. Wer will, macht zwei Tage später mit dem orthodoxen Weihnachtsfest weiter – und wer dann immer noch nicht genug hat, verlängert die winterliche Ferienzeit bis zum Alten Neuen Jahr am 13. Januar. Die orthodoxe Kirche nämlich rechnet immer noch nach dem julianischen Kalender, sodass theoretisch jedes Fest zweimal begangen werden kann.

Am Anfang allen Feierns steht die Butterwoche, die in diesem Jahr am 8. Februar beginnt. Offiziell wird damit – etwas zu früh – der Winter verabschiedet. Inoffiziell werden eine Woche lang köstliche, in Butter gebratene Pfannkuchen (Bliny) gegessen. Vor der Revolution gab es dafür genaue Regeln: Am ersten Tag wurden die Armen mit Bliny versorgt, am zweiten suchten sich die Junggesellen eine Braut. Am dritten buken Schwiegermütter Pfannkuchen für die Männer ihrer Töchter, am fünften wiederum ließen sie sich von ihren Schwiegertöchtern verwöhnen. Unverheiratete Mädchen hatten am sechsten Tag die gesamte Verwandtschaft zu versorgen und erst am siebten Tag feierten endlich alle zusammen.

Ganz so streng wird dies heute nicht mehr befolgt. Nach wie vor aber trifft man sich in der Butterwoche zum Skifahren und zu winterlichen Picknicks auf verschneiten Hängen und in Parks. Bunte Strohpuppen brennen, Männer balgen sich johlend auf freiem Feld. In den Städten schlängeln sich Lichterketten durch die Straßen, Pfannkuchen- und Glühweinbuden säumen die Wege. In Moskau zieht ein Karnevalszug die Twerskaja-Straße entlang bis zum Kreml, am Abend strömen die Menschen zum Feuerwerk auf den Roten Platz.

Auf den letzten Tag der fröhlichen Feierwoche fällt, ganz geschickt, der Versöhnungssonntag: Bei Freunden und Bekannten entschuldigt man sich für die Vergehen des vergangenen Jahres – und für die Ausschweifungen während der Butterwoche gleich mit. Danach beginnt das vorösterliche Fasten: sieben Wochen strenger Enthaltsamkeit – die allerdings gleich zu Beginn wieder vom Frauentag unterbrochen werden.

Während den 8. März in anderen Ländern nur noch Feministinnen beachten, bekommt in Russland fast jede Frau ein Sträußchen geschenkt. Was allerdings nicht heißt, dass die Gleichberechtigung hier weiter fortgeschritten wäre. Im Gegenteil: Oft stehen die Frauen auch an diesem Tag in der Küche und bereiten das Festessen für die Gäste. 2001 versuchte Michail Gorbatschow, analog einen Männertag zu etablieren, um auf die Gefahren des Alkoholismus aufmerksam zu machen – vergeblich. Kaum einer kennt den Weltmännertag am 3. November und der einstige Generalsekretär wurde wieder einmal als »Mineralsekretär« verspottet. Am 23. Februar, dem Tag der Vaterlandsverteidiger, stoßen selbige nach wie vor kräftig auf das eigene Wohl an.

Auf der Straße zu sehen sind sie schließlich am 9. Mai, dem Tag des Sieges über die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Allerorten versammeln sich Veteranen und Familien zu Volksfesten unter freiem Himmel. In Moskau marschieren Soldaten im Stechschritt über den Roten Platz, seit 2008 wieder begleitet von Panzern und schweren Waffen. Einheimische Zuschauer jubeln den Kampffliegern zu, die über ihre Köpfe hinwegdonnern, während manchen Ausländer soviel Begeisterung für den nachgestellten Kampf verstört.

Mit Konzerten und Feuerwerk klingt der »Tag des Sieges« aus wie all jene Feiertage, die nach dem Ende der Sowjetunion neu eingeführt, von vielen Russen aber nie wirklich akzeptiert wurden: Am 12. Juni etwa, dem neuen Nationalfeiertag, erklärte Russland 1990 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion – und manch einer fragt sich verwundert, von wem es denn vorher abhängig war. Der 4. November, an dem das Land 1612 von den Polen befreit wurde, ersetzt seit 2005 das Andenken an die Revolution von 1917. Doch nach fast 90 Jahren lässt sich das für viele nicht so ohne Weiteres austauschen.

Ist die Liste offizieller Feiertage in Russland schon lang, so ist die inoffizielle Liste noch viel länger. Geologen, Förster, ja sogar die Beamten der Steuerbehörde haben ihren eigenen Berufsfeiertag. Es gibt einen Tag des Radios und einen der Jugend, einen Tag der Bibliotheken und des Humors. Arbeitskollegen versammeln sich, um Dienstreise oder Beförderung zu feiern, den Namenstag oder die Taufe des Kindes. Und fällt einem auf Anhieb nichts ein, trifft man sich trotzdem mit belegten Broten, Salat und Wodka und vertraut auf die russische Redensart: "Ein Grund zum Feiern findet sich immer."

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