Russland

Abchasien - fauler Kompromiss statt Bürgerkrieg

Suchumi (n-ost). Wenn der georgische Maler Murtaz Schwelidse hört, jemand fahre demnächst nach Abchasien, geht stets ein Seufzen über seine Lippen. „Abchasia“, sagt er, und dehnt die As, als wolle er ein Lied anstimmen. Und dann - wehmütig: „Grüß mir Suchumi.“
Suchumi ist die Hauptstadt Abchasiens. In Sowjetzeiten war „die weiße Stadt“ für ihre Schönheit berühmt, Urlaubsziel betuchter Kaukasier, Russen und Ostdeutscher. Auch Murtaz Schwelidse hat seine Kindheitssommer in der damals zu Georgien gehörenden Sowjetrepublik verbracht, bis der georgisch-abchasische Krieg von 1992 das Land zerstörte und Georgier und Abchasen Feinde wurden. „Plötzlich“, sagen die Georgier. „Es schwelte lange“, sagen die Abchasen.

Von den unschuldigen abchasischen Sommern ist seither keine Rede mehr. Suchumi, lange eine Stadt in Schutt und Asche, findet nur langsam wieder zu einstiger Schönheit zurück. Gäbe es um Abchasien nicht immer wieder Streit zwischen Georgien und Russland, rangelten die Amerikaner und die Russen nicht um neue Standbeine im Kaukasus, wäre Abchasien längst vergessen, ein Kollateralschaden im Machtpoker der Großen.

Jüngste Aufmerksamkeit verdankt das Land einem absurden Wahlkampf, den sich der neue abchasische Präsident Sergej Bagapsch mit seinem einstigen Widersacher und jetzigen „Co-Präsidenten“ Raul Chadshimba lieferte. Vier lange Monate währte der Wahlkrimi vom Schwarzen Meer, in dessen Verlauf es Schießereien und eine Tote, viele Drohungen und falsche Bekenntnisse, Helden und Verräter, Tragik und Komik gab. Bürgerkrieg oder nicht, war die bange Frage, die sich die Abchasen in dieser Zeit mit Schaudern stellten. Die Erinnerung an die blutige Auseinandersetzung mit Georgien, in dessen Folge sich Abchasien von Georgien abspaltete, ist auch nach zwölf Jahren noch präsent.

Ob Bagapsch oder sein Konkurrent Chadshimba oder doch die Königsmacher in der Moskauer Regierung einknickten und einen Kompromiss suchten - wenige Stunden bevor Abchasien hätte im Chaos versinken können - ist unklar. Zum Sieger der ersten Wahl am 3. Oktober war zunächst Raul Chadshimba erklärt worden, den auch der russische Präsident Wladimir Putin bevorzugte. Bagapsch, Kandidat der Oppositionsparteien und Chef des Stromerzeugers ChernoMorEnergo, zweifelte die Ergebnisse an. Kopien der Wahldokumente, die Bagapsch irgendwie beschaffte, bewiesen die Manipulation. Drei Tage, eine Schießerei und lautstarken Protest des Volkes später, erklärte die Wahlkommission Bagapsch zum Sieger. Sogleich sprach die Gegenseite von einem durch Georgien inszenierten Staatsstreich.

Wer auch immer den Kompromiss der geteilten Macht ausarbeitete, auf den sich Bagapsch und Chadshimba schließlich einigten und der nach erneuten Wahlen Mitte Januar offiziell wurde, hat das Land vor Blutvergießen bewahrt, aber die Macht des Präsidenten eingeschränkt.
Für 40 Prozent des Haushalts trägt der Vize-Präsident die Verantwortung, außerdem ist er Herr über die Verteidigungs- und Außenpolitik. Bagapsch Siegerlächeln nach seiner im zweiten Wahlgang errungenen Präsidentschaft konnte kaum darüber hinwegtäuschen, dass er sich dem russischen Würgegriff nur mühsam entwunden hat.

Anders als die georgische „Rosenrevolution“ und die „orange Revolution“ in der Ukraine ist die abchasische Mini-Revolte noch lange kein Befreiungsschlag. Dass die Abchasen sich nach dem zweiten Wahlgang dennoch als Sieger über die russischen Manipulationsversuche fühlen und gefeiert wird, was eher als politischer Murks zu bezeichnen wäre, ist einem Mangel an Alternativen zuzuschreiben.

In eine andere Richtung als nach Russland kann Abchasien nicht schauen. International nicht anerkannt, ohne Investoren und also ohne Wirtschaftskraft, hat es keine anderen Verbündeten. Der Westen interessiert sich für das kleine Land immer nur dann, wenn es wieder mal um Macht im Kaukasus geht, um die Verteilung der Sahnstücke. Oder wenn ein neuer Krieg mit Georgien droht. Auch dann ist die Berichterstattung über Abchasien auf politisch-ökonomische Schlagworte verkürzt, die sich alle um Öl, Waffen, Schmuggel, Terrorismus und Macht drehen.

Das Elend der Bevölkerung ist der Aufmerksamkeit des Westens entgangen, ebenso wie der georgisch-abchasische Krieg damals keine Beobachter auf den Plan rief und es bis heute niemanden gibt, der die Kriegsverursacher nennen kann. Georgier und Abchasen schieben sich die Schuld gegenseitig in die Schuhe, eine Annährung in dieser und auch in der Frage über die Zukunft des Miteinanders, hat es nicht gegeben. Darunter leiden nicht nur die schätzungsweise 200.000 georgischen Flüchtlinge, die ihre abchasische Heimat verloren und im eigenen Land keine neue fanden, darunter leiden auch die Abchasen selber. Die meisten Bewohner leben von der Hand in den Mund, es gibt kaum legale Wege des Geldverdienens. Vor allem die Alten und Kranken haben unter der wirtschaftlichten Misere zu leiden. Ohne Rente und Krankenversicherung vegetieren viele vor sich hin, für dringende Operationen müssen sie von der UN oder auf eigene Kosten außer Landes gebracht werden. Weit mehr als die Hälfte der Abchasen haben daher längst einen russischen Pass, auch wenn sie die gegen Georgien so blutig verteidigte Autonomie dafür aufgeben müssen.

Der neue abchasische Präsident, der mit einer Georgierin verheiratet ist, wird unter dem misstrauischen Blick der Russen jede Sympathiekundgebung für Georgien vermeiden wollen und müssen. Die Moskauer Regierung weiß, jeder Schritt, den sie im Kaukasus zurückweicht, kann ein schritt nach vorne für die Amerikaner sein. Und so ist es unwahrscheinlich, dass Bagapsch eine Lösung für das abchasisch-georgische Dilemma finden und seinem mit landschaftlicher Schönheit gesegneten Land neue wirtschaftliche Perspektiven gegen kann.

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