Polen

Der Ziergarten des Auschwitz-Kommandanten

Oświęcim (n-ost). Barbara Zając ist Gärtnerin im südpolnischen Oświęcim. Seit 12 Jahren kümmert sie sich als Angestellte des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau um den Er-halt der Grünanlagen des früheren Konzentrations- und Vernichtungslagers. Ihre Aufgabe ist es, den historischen Zustand von Auschwitz möglichst originalgetreu für die Nachwelt zu erhalten. 191 Hektar umfasst das riesige Areal der Gedenkstätte heute. 154 Gebäuden, 300 Ruinen und 14.000 Metern Lagerzaun gehören dazu. Zu pflegen sind große Wälder, lange Pappelalleen und weite Wiesenflächen. Viele entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Massengräber. Auschwitz ist der größte Friedhof der Welt. 600.000 Besucher betreten ihn jährlich. In diesem Jahr, 60 Jahren nach der Befreiung des Lagers am 27. Januar 1945, werden es noch einige Tausend mehr sein. Nur eine der von Barbara Zając gepflegten Parzellen be-kommt niemand zu Gesicht: ein knapp 600 Quadratmeter großer Ziergarten – ordentlich ge-plant und hübsch angelegt. Es ist der Ort, an dem sich der frühere SS-Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, mit seiner Frau Hedwig und fünf Kindern von seinen Arbeitstagen erholte.

Rudolf Höß wohnte seit April 1940 direkt neben dem Konzentrationslager in einer Villa am Fluss Sola. Sie hatte vor dem Krieg einer polnischen Familie gehört, die von den deutschen Besatzern enteignet wurde. Bis heute stehen um den Garten Mauern von über drei Metern Höhe. Sie versperren den Blick auf die Gaskammer und das Krematorium von Auschwitz –nur 150 Meter von der Höß-Villa entfernt.

Ludwik Lawin, ein in Łódz geborener Pole, bekam im Dezember 1940 in Auschwitz den Auf-trag, den Garten von Rudolf Höß zu entwerfen. Bei Kriegsausbruch stand er kurz vor dem Abschluss seines Studiums als Landschaftsarchitekt. In Auschwitz trug er die Häftlingsnum-mer 2003. Nach Lawins Plänen wurde der Garten des Kommandanten von KZ-Häftlingen angelegt. Noch heute führt ein breiter Weg aus Natursteinplatten von der Villa zu einem Gar-tenhaus am Ende des Grundstücks. Davor bilden ein Teich mit einem Springbrunnen ein klei-nes Idyll. Neben dem Gartenhaus kann man auf einer Terrasse unter einer hölzernen Pergola sitzen. Eine seltene Kletterpflanze spendet im Sommer Schatten. Birken, Kiefern und Azaleen prägen den Ziergarten.

Rudolf Höß beschäftigte in seiner Villa und seinem Garten mehrere Auschwitz-Häftlinge. Stanisław Dubiel, ein aus Chorzów (Königshütte) stammender Pole, wurde im April 1942 in die Villa des Lagerkommandanten abkommandiert, wo er als Gärtner tätig war. Er war einer der wenigen, die Höß und seine Familie aus nächster Nähe betrachten konnten. Zu den aus-gewählten Menschen, die Höß in seinem Garten empfing, gehörte der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler. Gärtner Dubiel beobachtete einmal eine herzliche Unterhaltung zwischen Himmler mit Höß und dessen Frau. Dabei saßen die Kinder von Höß auf dem Schoß des SS-Chefs. Sie nannten ihn „Onkel Heini“.

Für Höß‘ Ehefrau Hedwig musste Dubiel im Garten erlesene Blumen ziehen. Sie fühlte sich wohl in Auschwitz. In seinen autobiographischen Aufzeichnungen schrieb Rudolf Höß nach Kriegsende: „Ja, meine Familie hatte es in Auschwitz gut. Jeder Wunsch, den meine Frau, den meine Kinder hatten, wurde erfüllt. Die Kinder konnten frei und ungezwungen leben. Meine Frau hatte ihr Blumenparadies.“ Auch Höß‘ Kinder hatten ein behütetes Leben, wie der Auschwitz-Kommandant schildert: „Immer hatten auch die Kinder im Garten besonderes Viehzeug, das die Häftlinge immer angeschleppt brachten. Ob Schildkröten oder Marder, ob Katzen oder Eidechsen, stets gab es etwas Neues, Interessantes im Garten. Oder sie plansch-ten im Sommer im Planschbecken im Garten oder in der Sola. Ihre größte Freude war jedoch, wenn Vati mitbadete. Der hatte nur wenig Zeit für all die Kinderfreuden.“

Höß war in Auschwitz reichlich beschäftigt. Er erfand und verwaltete hinter den mit wildem Wein bewachsenen Mauern des Gartenparadieses die Mordanlagen. Sie bestanden aus Auskleideraum, Gaskammer und Öfen zur Leichenverbrennung und ermöglichten die mas-senhafte Vernichtung von Menschen auf engstem Raum. Höß war es, der das zur Ausrottung von Ungeziefer vorgesehene Gas Blausäure (bekannt als Zyklon B) in Auschwitz als Tö-tungsmittel für Menschen erprobte und einführte. Über eine Million Menschen ermordete die SS auf diese Weise. Zeitzeugen erinnern sich, dass die Menschenasche aus dem Krematorium gelegentlich im Garten zum Düngen der Erdbeeren verwendet wurde.

Für den Mord an Juden, Polen, Roma und Sinti und anderen Nationalitäten wurde Höß 1947 im polnischen Krakau zum Tode verurteilt. Seine Hinrichtung fand in Auschwitz statt, direkt neben dem Krematorium und mit Blick auf das Todeslager Auschwitz. Noch heute können die Besucher den Galgen betrachten, mit dem der einstige Kommandant gehenkt wurde. Auch die Villa von Rudolf Höß ist aus der Ferne zu sehen. Sie wurde den Vorkriegsbesitzern nach der Lagerbefreiung am 27. Januar 1945 zurückgegeben.

Den Garten hinter den hohen Mauern bekommen die Besuchern nicht zu Gesicht. So recht weiß die Gedenkstätte in Auschwitz nicht, wie sie mit diesem Erbe umgehen soll. Das Gar-tenhaus wurde in der Nachkriegszeit mal als Gemeinschaftsraum für die Mitarbeiter des Mu-seums genutzt, mal hatte der Gärtner der Gedenkstätte hier sein Büro. Später haben Freiwilli-ge von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste das Gartenhaus als Gruppenraum während ihrer Erhaltungsarbeiten in der Gedenkstätte genutzt.

Heute versucht die Gärtnerin Barbara Zając den historischen Zustand des Gartens so genau wie möglich zu konservieren. Das Relikt bleibt für sie rätselhaft. Wenn sie in den Garten ge-he, so Zając, frage sie sich, wie ein solches Verbrechen möglich war: „Hier das Krematorium und die Leichenberge, dort ein Garten für die Erholung – da musste man doch etwas riechen“. Barbara Zając hofft, dass in Zukunft die Besucher der Gedenkstätte auch den Ziergarten von Rudolf Höß ansehen können. Entsprechende Pläne dazu gibt es. „Dieser Ort“, so Zając, „macht sehr nachdenklich und das ist gut. Es ist wichtig, dass wir diesen Ort erhalten.“


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