Deutschland

Vom Plan zum Markt: Schlangestehen bei McDonald's

Als 1990 in der Moskauer Innenstadt der erste McDonald's eröffnete, gab es die Sowjetunion noch. Der Ansturm war enorm: 30.000 Russen standen am ersten Tag Schlange – für Hamburger und Coca-Cola. In keinem anderen Land waren es zuvor bei der Eröffnung einer der Fast-Food-Filialen mehr gewesen. Ein Zeichen dafür, so Autorin Luise Althanns, wie unzufrieden die Bürger damals mit der sowjetischen Lebensrealität waren. Die Neugier auf lang ersehnte West-Produkte trieb die Sowjetbürger in die Filiale am Puschkin-Platz, und gleichzeitig lockte sie die Verheißung, dass alle bedient würden. „Westliche Konsumgüter hatten in der Sowjetunion bis zu diesem Zeitpunkt den Rang von Luxusgütern. McDonald's hingegen stand für Massenkonsum“, so Althanns.

Mangelwirtschaft wird Konsumkrise

Die Eröffnung der Fast-Food-Filiale fiel in eine Zeit, in der die Sowjetbürger das Schlangestehen gewohnt waren. Die staatlichen Produktionsbetriebe orientierten sich bekanntermaßen am Plan und nicht an den Bedürfnissen der Menschen. So gab es lange Wartelisten für Autos und Farbfernseher, während für Fischkonserven massiv Werbung gemacht wurde – von ihnen war einfach zu viel produziert worden. Ab Mitte der 80er Jahre bekamen die Betriebe zwar mehr Entscheidungsfreiheit bei ihrer Produktpalette, doch spitzte sich die Lage dadurch eher zu, als dass sie sich entspannte: Viele der Monopolisten produzierten lieber gewinnträchtige Luxusgüter als Wurst und Fleisch für den Otto-Normalverbraucher. Was die Menschen damals umtrieb, erklärt Althanns, waren nicht die politischen Veränderungen, sondern die Schlangen vor den Lebensmittelläden: Der Zerfall der Sowjetunion betrübte laut einer Umfrage von 1992 nur 27 Prozent der Bürger, mehr als doppelt so viele nannten dagegen die Preissteigerungen als größtes Problem.

Konsum als Menschenrecht

Vor dem Hintergrund dieses allgegenwärtigen Mangels entwickelten sich die Sowjetbürger gleichwohl zu Konsumenten: Adidas-Turnschuhen, Levi's- Jeans und Videorekordern wurden zu neuen Gestaltungselementen des Selbst und der Außenwirkung, immer mehr Bürger sahen in dem Warenmangel eine Verletzung ihrer Würde als moderne Menschen, so Luise Althanns. Mehr noch: Der eigene Konsumstandard wurde zum entscheidenden Faktor für die Zustimmung der Bürger zum politischen System, und sollte es auch in den folgenden Jahren bleiben.

Marke: Importiert

Ganz oben auf der Wunschliste standen Anfang der 90er Jahre Farbfernsehern und Videorekorder, später folgten Kleidung, Möbel und schließlich Autos. Eine Besonderheit: Marken - also jener identitätsstiftende Mehrwert von Produkten - waren bis dato auf dem sowjetischen Markt praktisch unbekannt. Als erste „Marke“ identifiziert die Autorin den Produktzusatz „importiert“: Die Herkunft eines Produkts wurde zum entscheidenden Kaufargument, Hauptsache es kam nicht aus sowjetischen Landen. Ein Kriterium, das sich bis heute gehalten hat, so Althanns: „Wenn man über einen russischen Markt läuft, werden einem zum Beispiel Schuhe noch heute besonders häufig als Produkte aus Deutschland angepriesen.“

Buchautorin Luise Althanns (Foto: transcript Verlag)

Lucia Althans / transcript

Konsumwellen kommen in der Provinz mit Verzögerung an

Luise Althanns betont, dass es direkt nach dem Ende der Sowjetunion keinen Anschaffungsboom gab, schlicht aus Geldmangel bei der Bevölkerung im Systemumbruch. Die Konsumrevolution habe sich vielmehr als Konsumwandel eingestellt. Stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Die Autorin zögert, eine Parallele zu ziehen zu den Konsumwellen, wie sie Deutschland erlebt hat, angefangen mit der „Fresswelle“ nach dem Krieg hin zum Geldausgeben für schönes Wohnen und weite Reisen in den 80er Jahren. „Für eine ähnliche Entwicklung ist Russland nicht homogen genug. In der russischen Provinz beispielsweise sieht es heute noch aus wie in Moskau vor 20 Jahre, während Moskau inzwischen wie jede andere westliche Metropole erscheint.“ Doch eines ist erkennbar: Der Konsum steigt stetig – lediglich kurzfristig gedämpft von der russischen Finanzkrise 1998 und der aktuellen Weltwirtschaftskrise.

Das Buch "McLenin" ist 2009 im transcript Verlag erschienen.


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