Dankbar für den Wissensvorsprung
Russische Nachwuchsjournalisten haben wenig Zeit und Lust, sich mit den Spätfolgen der sowjetischen Vergangenheit oder den alltäglichen Angriffen auf die Meinungs- und Pressefreiheit in Rußland zu beschäftigen. Pragmatisch und mit Fleiß arbeiten sie an ihrer Karriere, die gleich nach der Ausbildung - üblicherweise im Alter von 22 Jahren - beginnen soll. Internationale Kontakte oder gar eine zweisprachige Ausbildung wie am Freien Russisch-Deutschen Institut für Publizistik in Moskau und im südrussischen Rostow am Don sind also beliebt. In einem Land, das sich immer noch im Aufbau befindet, verspricht ein Wissensvorsprung Vorteile auf einem wenig aussichtsreichen Arbeitsmarkt.
Ein Hauch von Glamour und Anwälte der Schwächeren
Staatlich kontrollierte Medien, Korruption in den Redaktionen und lausige Gehälter für Journalisten halten russische Studenten nicht davon ab, die publizistischen Grundregeln nach europäischen Standards erlernen zu wollen. Auch in Rußland werden Medien mit jenem Hauch von Glamour in Verbindung gebracht, von dem sich die Jugend schlicht eine aufregendere Zukunft verspricht. Einige Starmoderatoren verdienen ja schließlich deutlich mehr als die üblichen 100 bis 200 Euro Redakteursgehalt. Andere Studenten wollen an ihrem Glauben festhalten, sie könnten als Journalisten Anwalt der Schwächeren der Gesellschaft sein - Schwächere gibt es viele in Rußland - und wahrheitsgemäß über so manche kleinere und größere politische oder wirtschaftliche Schweinerei berichten.
Kritischen Journalismus zu lehren, das ist in Rußland ein schwieriges Unterfangen. Nicht nur, weil die Presse derzeit ohnehin als vierte Gewalt blockiert wird. Auch nicht nur, weil in der (Medien-)Öffentlichkeit als Folge der nunmehr jahrelangen Pressezensur kritische Diskurse oder die Suche nach Verantwortlichen und Ursachen für Mißstände längst von Unkenntnis und Resignation verdrängt wurden. So lautet die Standardantwort russischer Journalistikstudenten auf die Frage, welche Themen sie interessieren: "Alles außer Politik." Mit Politik gemeint sind die undurchsichtigen Machenschaften der fernen Moskauer Zentralgewalt oder der lokalen Verwaltung, die ein Astrologe besser durchschaut als jemand mit nüchternem analytischen Verstand.
Zur Autorin
Franka Kühn ist Fernsehjournalistin und unterrichtete von 2002 bis Juni 2004 als Fachlektorin für Journalistik am Deutsch-Russischen Institut für Publizistik in Rostow am Don. Insgesamt arbeiten in Rußland knapp 30 Lektoren, die von der Robert Bosch Stiftung finanziert werden, an verschiedenen Hochschulen und Fachrichtungen in insgesamt 20 Städten. Bewerbungsschluß für das Lektorenprogramm: 31. Januar 2005. Informationen unter www.boschlektoren.de
Weitere Stolpersteine auf
dem Weg der Ausbildung sind weitverbreitete autoritäre und korrupte
Strukturen an den Hochschulen und die schlechte Ausstattung, etwa im
Hinblick auf aktuelle Literatur oder Technik. Nicht selten wird noch aus
Lehrbüchern der sechziger Jahre herausgekritzelt. Der alltägliche Kampf
gegen widrige Umstände scheint die aus Deutschland eingeflogenen
Gastdozenten freilich mehr zu irritieren als die russischen Studenten.
Ein
modernes deutsch-russisches Ausbildungsprojekt will das vor zehn Jahren
in Moskau gegründete Freie Russisch-Deutsche Institut für Publizistik
sein. "Frei" sollte damals eine scharfe Abgrenzung zu den ideologischen
Kaderschmieden namens "Journalistikfakultäten" in den postsowjetischen
Hochschulen beschreiben. Deutsche Professoren und Journalisten zählen zu
den Gründern des Instituts. Sie gehen am Institut, gegenüber dem Kreml
gelegen, seit Jahren ein und aus und können ohne Zweifel frei
unterrichten, unter ihnen namhafte Journalisten wie Gerd Ruge oder
Günter von Lojewski. Die Ausbildung russischer Nachwuchsjournalisten mit
deutscher Hilfe soll Multiplikatoren erreichen, junge Leute also, die
Schwankungen am deutsch- russischen Stimmungsbarometer interpretieren
lernen und das journalistische Berufsethos ernst nehmen.
Moderner Unterricht und aktuelles Material
In
Moskau, dem alles überragenden Zentrum des Landes, stehen auch die
Chancen für Absolventen des journalistischen Instituts nicht schlecht.
Die Studienbedingungen sind - gerade für angehende Journalisten - mit
denen im Rest des Landes nicht vergleichbar: Internationale
Austauschprogramme der Hochschulen "mit dem Westen" sind längst Routine.
Verlage aus aller Welt, Agenturen und Fernsehsender haben hier ihre
Redaktionen. Die Jobaussichten sind also ungleich günstiger als in der
Provinz. Und als Provinz wird in Rußland jede Großstadt jenseits von
Moskau und St. Petersburg bezeichnet. Um auch die zu erreichen, die es
gemeinhin schwerer haben, entschied sich die Robert Bosch Stiftung,
einem weiteren Deutsch-Russischen Institut für Publizistik finanziell
auf die Beine zu helfen. In Südrußland, in Rostow am Don, eröffnete das
journalistische Ausbildungsinstitut vor zwei Jahren. Die Bosch-Stiftung
finanziert konsequenterweise auch einen "Fachlektor für Journalistik",
der in deutscher Sprache journalistische Theorie und Praxis am Institut
unterrichtet.
Sowjetisch geschulte, also hierarchieorientierte
Hochschulkader müssen sich an solche Kollegen auf Zeit erst gewöhnen.
Die Studenten aber wissen das Angebot zu nutzen: Sie sind dankbar für
offene Unterrichtsmethoden und aktualitätsbezogene Inhalte.
Machtlos gegenüber willkürlichen Schließungen
Außerdem
schätzen sie jede Form von Unterstützung bei der mühsamen Suche nach
Praktika oder Informationen über studentisches Leben jenseits der
russischen Hochschulen - also im Westen. Im Zeitalter des Internet
braucht es Ausländer, die solche Informationen weitergeben, Seminare,
Workshops oder internationale Aufbaustudiengänge. Das verspricht nötiges
Know-how für die Zeit, wenn das deutsch-russische Diplom nach einem
dreijährigen Zusatzstudium in der Tasche ist.
Das Diplom ist
eine Zukunftsaktie. Berufliche Perspektiven kann die deutsche
Zusatzausbildung nicht garantieren. Repressionen gegen Journalisten, die
willkürliche Schließung von unliebsamen Redaktionen, niedrige Gehälter,
"schwarze PR" in den Gazetten und Journalen - dagegen sind deutsche
Ausbilder machtlos. Nicht das letzte Beispiel für die Allmacht des
Staates ist der Hinauswurf des populären Moderators Leonid Parfjonow aus
der Fernsehstation NTW nach einer kritischen Tschetschenien- Recherche.
Daß eine hervorragende Ausbildung die einzige Antwort auf Zensur und
Staatskontrolle der Medien in Rußland ist, haben die russischen
Studenten längst verstanden.