Rumänien

Eine Stadt mit Vorliebe für Deutsches

Seit fünf Jahren sorgt in der rumänischen Stadt Sibiu ein Deutsches Kulturzentrum für zeitgenössische Kulturereignisse. Es kann damit noch unbesetzte Nischen füllen. Das weiß auch die Robert Bosch Kulturmanagerin Sophie Werner zu nutzen.

Es ist jetzt kurz vor 13 Uhr. In wenigen Stunden werden die Künstler des Dresdner Projektes shortfilmlivemusic im rumänischen Sibiu eintreffen. Am Abend, um 18 Uhr, soll der Geburtstag des Deutschen Kulturzentrums gefeiert werden - dass es dabei neben Reden natürlich Kultur geben wird, ist selbstverständlich. Modern, experimentell und jung soll es sein – so gibt sich das Deutsche Kulturzentrum bereits seit fünf Jahren. Der Soundcheck ist gegen 16 Uhr geplant. Die Künstler sind mit ihrem Tourbus erst auf dem Weg ins rumänische Siebenbürgen, vielmehr sie stecken im Stau. Die Robert Bosch Kulturmanagerin Sophie Werner überlegt kurz und sagt: „Gut. Wo genau steht wer von Euch auf der Bühne?“ Am Telefon entwirft sie mit den Künstlern einen Lageplan, damit Bühnenlicht und Technik bereits präpariert werden können. Sophie Werner erklärt: „Das ist für den Fall, dass Ihr Euch stark verspätet.“ Sie hofft natürlich etwas anderes: Dass es noch genügend Zeit für den Soundcheck gibt.

Sophie Werner koordiniert ihre Kulturarbeit in einem Büro mitten am Marktplatz. Der erinnert an eine mittelalterliche Stadt in Deutschland. Das ist nicht verwunderlich, denn Sibiu, auf Deutsch Hermannstadt, ist im 12. Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründet worden. Sie haben mit Kirchen, Schulen und Kunst die Kultur dieser Stadt geprägt. Heute ist die deutsche Gemeinschaft verschwindend klein: Rund ein Prozent der knapp 160.000 Einwohner sind Deutsche. Dennoch: In der Stadt gibt es eine Vorliebe für ihre Muttersprache. Weil Deutsch nicht nur eine Sprache ist, sondern für Professionalität, Arbeitseifer und Pünktlichkeit steht.

Hier fehlt ein Klavierstuhl

Sophie Werner vermittelt in der Stadt die deutsche Sprache mit Kultur. Die Jahre zuvor hat sie Europäische Kulturgeschichte und Internationales Kulturmanagement in Augsburg, Freiburg und im italienischen Pisa studiert. Jetzt setzt die 29-Jährige die Theorie in die Praxis um, als Konzerte, Ausstellungen, Lesungen. Weil die Projektmittel gering sind, kann es nicht Mainstream sein. „Das muss es doch auch gar nicht“, meint Werner.

Sie hat unlängst ein Hip-Hop-Duo eingeladen, das in einem Workshop auf Deutsch rappte. Die ältere Generation in der Stadt zeigte sich skeptisch: „Ist das nicht Fäkalsprache?“ Die jungen Workshop-Besucher meinten hingegen: „Deutsch kann ja richtig spannend sein.“ Kultur managen, bedeutet in Sibiu auch „zu improvisieren, immer wieder neue Lösungen zu finden“, sagt Sophie Werner. Schließlich sorgt der Alltag in Sibiu - wie in allen anderen rumänischen Städten - immer wieder für Überraschungen. Für ein Konzert wurde der Robert Bosch Kulturmanagerin einmal ein Klavier ohne passenden Stuhl geliefert. Die Anfragen bei Technikfirmen blieben erfolglos. Was also tun? Sophie Werner ging in ein Café der Stadt, wo nächtlich live Klavier gespielt wird, und hat dort einen Klavierhocker ausgeborgt.

Sibiu wurde einst von deutschen Siedlern gegründet (Foto: Annett Müller)

Eine Kulturhauptstadt kann nicht mehr Provinz werden

Man könnte denken, Sophie Werner ist zu spät nach Sibiu gekommen, denn immerhin hat sie das Europäische Kulturhauptstadtjahr 2007 verpasst. Mit über 1.000 Veranstaltungen ist die Stadt damals nahezu mit Kultur überrollt worden. „Es gab für die Kulturschaffenden Macht, Geld und Publikum im Überschuss“, erinnert sich Liviana Dan, die bereits damals als Kuratorin für die Galerie für Zeitgenössische Kunst des Brukenthal-Museums arbeitete. Geblieben sind renommierte Theater-, Film- und Jazzfestivals. Die gab es auch schon vor 2007, inzwischen aber bieten sie durchweg Kultur auf hohem Niveau an. „Wer einmal Kulturhauptstadt war, will schließlich nicht mehr Provinz werden,“ sagt Liviana Dan. Dauerhafte Kunsträume jenseits der Hochkultur sind in Sibiu jedoch nur wenige zu finden.

Sophie Werner ist also genau zum richtigen Zeitpunkt in die Stadt gekommen, jetzt, wo sich die Kulturschaffenden wieder Macht, Geld und Publikum mühsam erarbeiten müssen. „Es gibt hier, anders als in deutschen Städten, noch unbesetzte Nischen, die wir mit Alternativkultur füllen und uns somit weiter etablieren können“, findet sie. So hat sie beispielsweise mit einer DAAD-Lektorin eine Diskussionsreihe ins Leben gerufen, um junge Leute über Kommunismus oder über Auswanderung diskutieren zu lassen. Auch kam auf ihre Einladung ein Orchester in die Stadt, das in Osteuropa komponierte Stücke auf einem ungewöhnlichen Instrument spielte – nämlich auf Laptops. So etwas hat es in Sibiu noch nicht gegeben.

Alternativkultur klingt verheißungsvoll, ist aber nicht einfach. Das Team vom Kulturzentrum kann zwar Pläne schmieden, doch müssen sie finanzierbar sein, ebenso das Personal, das man dafür braucht. Ein Teil der Gelder kommt aus den Sprachkursen, die das Zentrum anbietet, es gibt deutsche Fördermittel, zudem werden Sponsoren gesucht. In einem osteuropäischen Land wie Rumänien, das derzeit in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt, ist das gewiss nicht einfach. „Es ist eine Riesenverantwortung, doch wir wachsen an diesen Herausforderungen“, sagt Sophie Werner. Sie hat in Augsburg vor Jahren einen Preis für eine Geschäftsidee gewonnen. Startkapital: fünf Euro. Werner entwarf einen sogenannten Kulturbeutel, gefüllt mit Freikarten, Programmheften und einem Werbegeschenk eines einheimischen Künstlers. Damit sollten es Touristen in Augsburg einfacher haben, sich kulturell zurechtzufinden.

Sibiu hingegen tickt anders. Hier hat Sophie Werner gelernt, dass Flyer und Werbeposter nicht unbedingt Säle füllen. Sie wirbt deshalb mit ihrem Team auch direkt an der Universität. Zu Vorlesungsbeginn erhalten sie ein paar Minuten, um ihre Veranstaltung kurz vorstellen zu können. Eine ungewöhnliche Werbearbeit, die Erfolg zeigt.

Teamwork, um sich ersetzbar zu machen

Es ist 16 Uhr. „Wo seid Ihr?“, fragt Sophie Werner die Künstler von shortfilmlivemusic am Telefon. Sie sind noch auf den rumänischen Landstraßen unterwegs. Jetzt kommt Plan B zum Einsatz, für den Fall, dass die Musiker erst nach Beginn der Veranstaltung ankommen. „Wir starten mit den Reden, laden dann zum Buffet, und Ihr macht währenddessen einen Soundcheck“. Sophie Werner weiß, dass dies nicht die beste Lösung ist: „Das Publikum wird sich wundern, wenn wir es noch einmal in den Saal bitten.“

Auf einem A 4 Zettel zeichnet sie die Bühne auf und erklärt ihren jungen Kollegen, was wohin kommt. „Ein Team zu leiten, ist äußerst spannend“, sagt Sophie Werner, die sich gleichzeitig ersetzbar machen muss. Ab nächstem Sommer wird das Kulturzentrum in Sibiu keinen Robert Bosch Kulturmanager mehr haben, sondern mit Lokalpersonal geführt werden. „Was fällt Euch ein, was wir vergessen haben könnten?“, fragt Sophie Werner ihr Team. Es soll noch einmal resümieren.

Sibiu will auf Kulturtourismus setzen

Zehn Minuten vor 18 Uhr. Die Geburtstagsveranstaltung findet in einem Theater der Stadt statt. Sophie Werner hat ihre Jeanshose gegen ein Kleid eingetauscht. Neben ihr steht Ada Tănase, die 28-jährige Leiterin des Kulturzentrums, im schwarzen Anzug. Im Tandem begrüßen die jungen Frauen die heraneilenden Gäste. Ein junger Mann sagt: „Wir sind die Künstler“. Sophie Werner blickt ihn erleichtert an. Dann ab zum Soundcheck.

Jetzt kommt Plan C zum Zug für das gesamte Team: Die Gäste in einen Small-Talk verwickeln, damit die Künstler sich auf der Bühne kurz einstimmen können. Gegen 18.30 Uhr geht es los, niemand hat mahnend auf die Uhr gesehen. Zeit ist schließlich ein dehnbarer Begriff in Rumänien. Die Redner erinnern an fünf Jahre Deutsches Kulturzentrum, mit dessen Gründung man sich anfangs nicht leicht getan hatte. Noch heute wünscht sich so mancher, dass das Zentrum Trachtenfeste statt zeitgenössische deutsche Kultur organisiert. Die Vizebürgermeisterin der Stadt, Astrid Fodor, sagt auf der Bühne: „Das Zentrum passt perfekt zu unserer Stadt“. Denn Sibiu hat Pläne. So will es in Zukunft stärker auf Kulturtourismus setzen, und mit guten Programmen ausländische Besucher locken, „weil die anderen Industriezweige bei uns bereits ausgereizt sind“, wie Fodor sagt.
Sophie Werner kommt auf die Bühne, um shortfilmlivemusic anzukündigen. Sie spricht auch ein paar Sätze Rumänisch. Das kommt beim Publikum gut an.

Licht aus. Kurzfilme ab. Sie erzählen von der Transformation in Deutschland und Osteuropa. Eine E-Gitarre, ein Horn, ein Saxophon, ein Sänger ersetzen den Originalton, übernehmen die Deutungshoheit über die Bilder. Die vier Musiker von shortfilmlivemusic improvisieren ihre Musik, mischen ihr Melodien bei. Wer abschaltet, verliert den Faden, der sich längst in den Tönen verwickelt hat. Keine leichte Kost für das Publikum, das den Theatersaal bis auf den letzten Platz gefüllt hat. Es applaudiert später freundlich, nicht stürmisch. Sophie Werner sagt: „Wir wollen Anstöße geben, das ist eine unserer Aufgaben in dieser Stadt.“

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung entstanden.
Informationen zum Programm Robert Bosch Kulturmanager in Mittel- und Osteuropa finden Sie unter www.kulturmanager.net.



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