Russland

Studieren per Mausklick


Veronika Wengert (Mail: v_wengert@yahoo.com; Tel: +7 - 095-248 23 30)
Fotos von Veronika Wengert

Sofia (n-ost). Die Rundmail erreicht die Dozenten und Studenten am Südosteuropäischen Medienzentrum in Sofia kurz vor Abgabefrist der Lerneinheiten: „Kein Internet in Moldau“, schreibt Corinna Girla in der Betreff-Zeile. Die 25-jährige Germanistin aus Chisinau ist bereits seit Tagen auf der Suche nach einem Internetcafe, das nicht geschlossen hat. Wirtschaftliche Missstände hatten einen der größten Provider in Moldawien veranlasst, zahlreiche Haushalte kurzerhand vom weltweiten Netz abzukabeln.

Ohne Internetzugang sind Corinna Girla und ihren 18 Kommilitonen des dritten Studienjahrgangs am SOEMZ jedoch sprichwörtlich die Hände geknebelt – denn das Masterstudium „Medien und interkulturelle Kommunikation“ ist als virtuelles Lehrangebot konzipiert: Drei Semester lang wird der Unterrichtsstoff auf einer Homepage im Internet bereitgestellt, Ostergrüße und Fachaufsätze erreichen die Teilnehmer auf virtuellem Weg, Lösungen werden per E-Mail eingereicht. Diese Unterrichtsform habe den Vorteil, dass die Studierenden auch weiterhin in ihren Ländern leben und arbeiten könnten, erklärt Andrea Jost, Geschäftsführerin des SOEMZ.

Das berufsbegleitende Aufbaustudium ist ein Gemeinschaftsprojekt der Sofioter Universität Kliment Ochridski und der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Es richtet sich vor allem an Journalisten und Multiplikatoren im Medienbereich, die in multiethnischen Gesellschaften in Südosteuropa arbeiten. Aber auch Studierende aus Deutschland oder Russland bilden sich weiter, die sich beruflich mit Minderheiten oder Konflikten auseinandersetzen.

Das Themenspektrum umfasst sechs Lernmodule aus den Bereichen Kulturwissenschaft, Konfliktforschung und Medientheorie. Untersucht werden die Medien und ihre Wirkung jedoch auch aus wirtschaftlicher und juristischer Perspektive.

Finanziert wurde das deutsch-bulgarische Projekt in den ersten drei Jahren seines Bestehens durch das Auswärtige Amt und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Bislang war das Studium kostenlos für Studenten, nun versiegen allerdings die staatlichen Fördergelder aus Berlin. Geschäftsführerin Jost ist bereits seit Monaten auf der Suche nach Sponsoren und einem neuen Finanzierungsmodell. Als Folge der unsicheren Finanzlage wurden im April dieses Jahres erstmals keine neuen Studenten aufgenommen.

Unpersönlich ist das Internet-Studium aber keinesfalls: Jeweils zum Semesterauftakt im Frühjahr treffen sich Studenten und Dozenten zur Präsenzphase in Sofia. Zwei Wochen lang stehen Seminare, Workshops, und Filmabende auf dem Programm. Die Begegnungen tragen dazu bei, mehr vom Alltag in Südosteuropa zu erfahren: Dazu würde sich der persönliche Kontakt am besten eignen, erklärt Andrea Jost, denn nur so könne man Informationen aus erster Hand bekommen.

Davon ist auch Adrian Ardelean überzeugt: „Früher wusste ich wenig über die Länder, aus denen meine Kommilitonen stammen. Albanien beispielsweise war ein schwarzer Fleck auf meiner mentalen Landkarte“, erzählt der 33-Jährige Rumäne. Seit er in Bulgarien studiere, habe er jedoch viele Vorurteile abgebaut. Nicht zuletzt habe die akademische Weiterbildung dazu beigetragen, dass er eine verantwortungsvollere Arbeit gefunden habe: Seit vorigem Sommer ist der studierte Ingenieur als Redakteur für die Sendung in deutscher Sprache bei Radio Temesvar verantwortlich. Zuvor war Adrian Ardelean jahrelang bei einem lokalen Fernsehsender in der rumänischen Grenzstadt Arad beschäftigt gewesen.

Der größte Gewinn sei für ihn jedoch nicht nur das Fachwissen, sondern die Zusammenarbeit mit den anderen Studenten, sagt Adrian Ardelen.
Mit seiner Kommilitonin Kinga Ersze, einer Ungarin aus der rumänischen Stadt Sibiu, habe er bereits Projekte im Bereich der Jugendarbeit geplant, verrät der Journalist. Auch Kinga Ersze nutzt das erworbene Wissen beruflich: Als Assistentin am germanistischen Lehrstuhl der Lucian Blaga Universität in Sibiu unterrichtet sie Fächer, die noch relativ neu sind – wie interkulturelle Kommunikation: Durch das Fernstudium werde sie auf ihre eigene Lehrtätigkeit sehr gut vorbereitet, erklärt die Germanistin.

Bevor die beiden Studenten aus Rumänien ihre geplanten Projekte jedoch umsetzen werden, müssen sie noch ihre Masterarbeit schreiben. Die Recherche für die Abschlussarbeit läuft bei den meisten derzeit auf Hochtouren. Manche Themen tragen dabei auch zum Zusammenwachsen der Region bei: So plant Corinna Girla etwa, die vielschichtigen Bedeutungen des Wortes Rumänisch in der moldawischen Sprache zu untersuchen – wenn ihr der Internetprovider bei der Recherche keinen Strich durch die Rechnung macht.

Infos unter:
http://soemz.euv-frankfurt-o.de/
http://www.soemz.uni-sofia.bg/

*** ENDE***

Bildunterschriften:

Studium 1: Wahrend der Präenzphase in Sofia rückt Europa an einen Tisch: Studenten aus Deutschland, Rumanien, dem Kosovo, Weissrussland und Bulgarien (von links nach rechts) diskutieren in kleinen Gruppen die politische Lage in der Region. (das Mädchen in Rot ist Kinga Ersze, die im Text vorkommt)

Studium 2: Österreichische und bulgarische Studentinnen beim Rollenspiel, das zur Konfliktpraventation beitragen soll. Von Links nach Rechts: Diljana, Jutta und Olga.

Weitere Bilder können geschickt werden. 


Veronika Wengert




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