Russland

Kampf dem Gerstensaft


Moskau (n-ost). Der Kampf gegen den Alkohol ist in Russland so alt wie das Trinken selbst. Schon Peter der Große mühte sich erfolglos, seinen Untertanen den übermäßigen Schnapskonsum auszutreiben, 300 Jahre später wurde Michail Gorbatschow im Volksmund wegen seiner „Wasser statt Wässerchen“-Kampagne vom General- zum „Mineralsekretär“ umgetauft.
Traditionell richtet sich das Augenmerk der Obrigkeit natürlich auf das Nationalgetränk Wodka. Da jedoch die Russen seit einigen Jahren zunehmend dem Bierkonsum fröhnen, wird die Volksgesundheit nun gleich an zwei Fronten attackiert, was den Gesetzeshütern offenbar zu denken gab: Am Samstag verabschiedete die russische Staatsduma in zweiter Lesung ein Gesetz, demzufolge künftig zwischen 7 und 22 Uhr keine Bier-Werbespots mehr im Fernsehen ausgestrahlt werden dürfen. In der verbleibenden Zeit muss Bierwerbung fortan zu einem Zehntel aus gesundheitlichen Warnhinweisen bestehen. Ein generelles Verbot wurde für Werbung verhängt, die den Biergenuss als „ausschlaggebend beim Erringen von sportlichen Erfolgen oder im Privatleben“ darstellt. Und die Krönung: Bierwerbung muss fortan gänzlich ohne „Bilder von Menschen oder Tieren“ auskommen.
Ob sich die Russen mit solchen Methoden den Gerstensaft austreiben lassen, sei dahingestellt. Fest steht, dass die Gesetzesänderung die russische Werbebranche empfindlich trifft. Zur Zeit stellt Bierwerbung rund ein Zehntel der gesamten russischen Fernsehwerbung, im vergangenen Halbjahr konnte die Bierreklame gar einen Zuwachs von 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnen. Bier gilt in Russland als ausgesprochener Wachstumsmarkt, da besonders junge Konsumenten dem Getränk den Vorzug gegenüber dem traditionellen Wodka geben.
Vielleicht deshalb wurde die Werbebeschränkung in beispielloser Einigkeit verabschiedet: Bei lediglich einer Enthaltung stimmten 432 von 450 Abgeordneten für das Gesetz. Nicht angenommen wurde dagegen eine Klausel, die den Bierkonsum auf offener Straße untersagen wollte. Eine solche Gesetzesänderung hätte sich eindrücklich im russischen Straßenbild bemerkbar gemacht: Da für die meisten Russen der Besuch von Bars und Restaurants unerschwinglich ist, wird ausgiebig im Freien getrunken. Im Sommer sammeln sich fast an jeder Straßenecke biertrinkende Grüppchen, selbst im Winter stapfen viele Russen mit Bierflasche in der Hand durch den Schnee.
Ein Phänomen, dass so manchem selbsternannten Sittenwächter als „nekulturnij“ aufstößt, als kulturlos. Die orthodoxe Kirche sprach dem Gesetzesentwurf, der nach der zweiten Lesung noch vom Föderationsrat und Wladimir Putin ratifiziert werden muss, ihre volle Unterstützung aus: Die Medien hätten eine „Bier-Subkultur“ geschaffen, die „die Jugend einer Gehirnwäsche“ unterziehe, so Kirchensprecher Wsewolod Tschaplin. Und auch der Ultranationalist Wladimir Schirinowskij setzte sich vor versammelter Duma vehement für ein gänzliches Verbot von Bierwerbung und öffentlichem Bierkonsum ein: „Wer diesen Dreck trinken will, soll in Bars gehen. Die Gewohnheit des Bierkonsums auf offener Straße ist uns von der Werbung aufgezwungen worden, und deshalb glaubt die Jugend, das sei in Ordnung.“
So mancher Beobachter vermutet allerdings einen ganz anderen Grund für Schirinowskijs moralische Entrüstung. Der Chefpolitiker der „Liberaldemokratischen Partei Russlands“ ist bekannt dafür, im Wahlkampf gerne mal großzügig Hundert-Rubel-Scheine unters Volk zu streuen. Und für hundert Rubel, das weiß jeder Russe, bekommt man eine Halbliterflasche Wodka…

Ende 

Jens Mühling


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