Russland

Deutsche Gebete an der Wolga


Von Veronika Wengert (E-Mail: v_wengert@yahoo.com, Tel. 007-903-195 5181)

Moskau (n-ost). Seit knapp vier Jahren lebt und arbeitet Markus Schoch als Gemeindepfarrer und Propst in Samara, gut 1 100 Kilometer südöstlich von Moskau. Im Sommer verlässt der Entsandte der württembergischen Landeskirche die Evangelisch-Lutherische St. Georggemeinde, um nach Deutschland zurückzukehren und eine Gemeinde in Sindelfingen bei Stuttgart zu leiten.

Als Markus Schoch von der Kirchenleitung das Angebot bekommen hatte, nach Samara überzusiedeln und dort eine Gemeinde zu betreuen, hatte er zunächst zum Atlas gegriffen und versucht, seinen künftigen Arbeitsort zu finden. Nach einer kurzen Bedenkzeit entschied sich der Geistliche schließlich für das Leben an der Wolga. Schoch hatte gerade sein Vikariat beendet – als frisch ausgebildeter Pfarrer wollte er sich einer echten Herausforderung stellen.

Mit seiner Arbeit erreicht der Mittdreißiger in Samara gut 300 bis 400 Menschen. Eine relativ kleine Gemeinde also folgt ihm, wenn man bedenkt, dass die Stadt gut 1,6 Millionen Einwohner hat. Der Schwabe betreut jedoch nicht die Lutheraner in Samara. In der Propstei „Mittlere Wolga“ betreut er insgesamt zwölf Kirchengemeinden, deren Struktur sich zum Teil stark voneinander unterscheidet. Zum einen ist da die St. Georgkirche in Samara, deren Gemeindeleben mit dem in Deutschland vergleichbar ist: Bibelkreise, Konfirmation, Taufe, Kirchenchor und Freizeiten für Kinder, Frauen und Senioren gehören zum festen Bestandteil. Zwei Sozialarbeiterinnen kümmern sich um Bedürftige. Daneben gibt es fünf so genannte Brüdergemeinden im Bezirk, die Schoch alle vier bis sechs Wochen besucht, um mit ihnen das Abendmahl zu feiern – Städte und Dörfer, zum Teil Hunderte Kilometer von Samara entfernt.

Für Schoch sind lange Zugfahrten also Teil seiner Arbeit, allein der Besuch in der Nachbarstadt Uljanowsk ist mit einer fast eintägigen Reise verbunden. So sind es die Nachbargemeinden es gewohnt, auch mal ohne Schoch auszukommen, gewöhnlich treffen sie sich im Wohnzimmer eines Mitglieds. Nur so konnte auch während der Sowjetzeit der Glaube überleben.

Schoch ist nicht der erste Geistliche aus Deutschland, der an der Wolga lebt. Seit 1993 entsendet die Evangelische Landeskirche Württemberg Mitarbeiter nach Samara. Heute, zwölf Jahre nach der Registrierung, hat sich dort eine kleine aktive Gemeinde etabliert. Etwa die Hälfte hat einen „biografischen Anknüpfungspunkt“ zur Evangelisch-Lutherischen Kirche, so Schoch. Das heißt, schon die Eltern waren Protestanten. Die meisten waren deutsche Einwandererfamilien. Viele ältere Gemeindemitglieder, deren Kindheit mit der Kirche verbunden war, sind zu beginn der neunziger Jahre in das Gotteshaus zurückgekehrt. Aber auch die mittlere Generation Russlanddeutscher gehört zu den regelmäßigen Kirchengängern.

Samara, das zu Sowjetzeiten Kujbyschew hieß und für Ausländer gesperrt war, verbindet seit zwölf Jahren eine Städtepartnerschaft mit Stuttgart. Seitdem entwickelte sich auch ein reger Kontakt zwischen den Kirchengemeinden der beiden Städte. Mit Spenden aus Württemberg wurde das Gotteshaus, das bereits 1865 eingeweiht wurde, zunächst innen saniert. 33 Kirchenbänke, eine Glocke, zwei Abendmahlkelche sowie eine Orgel, die die größte der drei Orgeln ist, die sich überhaupt in einer lutherischen Kirche Russlands befinden, wurden mit deutschen Geldern finanziert. Der Außenanstrich der Kirche, die sich in sattem Rosa von den übrigen Gebäuden in der Kujbyschew-Straße abhebt, folgte als nächster Schritt – auch mit Unterstützung aus Stuttgart.

In den lutherischen Gemeinden ist die Gottesdienstsprache Deutsch – in der St. Georgkirche zu Samara hingegen zweisprachig. Da jedoch gerade jüngere russlanddeutsche Mitglieder die Sprache ihrer Vorfahren kaum verstehen, mangelt es an Nachwuchs in der Gemeinde. Und dass, obwohl Russland eine Renaissance der Religionen erlebt. Ein weiteres Problem ist die Ausreise der Prediger nach Deutschland. Einen Nachfolger für die Brüdergemeinden zu finden, ist kein leichtes Unterfangen, denn der Arbeitsort liegt fast 2000 Kilometer von Stuttgart entfernt. Auch die Aussiedelung der Russlanddeutschen in die Bundesrepublik ist ein Wermutstropfen in der Gemeindearbeit Schochs. „Wir haben dadurch große Mitgliederverluste.“, sagt er. Andererseits gibt es auch Zuzüge, so wurden vor allem in den neunziger Jahren in den Dörfern an der Wolga Russlanddeutsche aus Mittelasien angesiedelt. Das Leben am längsten Fluss Europas gehört bis heute zum Wunschtraum vieler Deutschstämmiger, denn bis 1941 existierte hier die Autonome Republik der Wolgadeutschen, deren Hauptstadt Engels war. Nach einem Erlass von Stalin wurde der Verwaltungsbezirk aufgelöst, die Deutschen wurden nach Kasachstan oder Sibirien verschleppt. Erst nach dem Zerfall der UdSSR kehrten viele Angehörige der Minderheit wieder zurück an die Wolga, wo einst ihre Ahnen den Boden urbar machten. Die meisten aber haben die deutsche Sprache vergessen und auch religiöse Rituale haben sich mit Mythen und Legenden anderer Regionen vermischt.

Markus Schoch verlässt nun Samara. Der Abschied fällt ihm schwer. „Religion wurde hier nach 70 Jahren Sowjetzeit erst wieder entdeckt, doch daran liegt auch eine riesen Chance. Die Menschen sind neugierig – wir entdecken gemeinsam das Aufregende im Glauben.“

Info: Evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart, Konto 11 44 88 6, LBBW 600 501 01, Verwendungszweck „Samara“

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Veronika Wengert


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