Her mit den kleinen Zypriotinnen!
Her mit den kleinen Zypriotinnen!
Wer sind die neuen Europäer? Auf Stereotypenfahndung zwischen Estland und Malta
Von Jens Mühling (jens.muehling@gmx.de, Tel: +7 095 25 25 675 oder +7 095 248 23 30)
Kennen Sie den? Treffen sich ein Italiener, ein Franzose und ein Deutscher. Kennen Sie nicht? Trotzdem wissen Sie ungefähr, wie es weitergeht: Der Franzose wird von Liebe reden, der Italiener von Mama, der Deutsche von der Arbeit. Im europäischen Stereotypengefüge weiß jeder, wo er hingehört. Das mag uns Deutsche manchmal ärgern, weil wir die blödeste Rolle erwischt haben. Immerhin erlaubt es uns aber, Witze über Italiener, Franzosen und Deutsche zu erzählen.
Dagegen: Treffen sich ein Malteke, ein Este und ein Zypriot – das klingt erstens wie aus der Deklinationstabelle und löst zweitens im kerneuropäischen Bewusstsein kaum Assoziationen aus. Sagt der Malteke: Hier riecht’s aber komisch. Meint der Este: Das ist das Meer. Darauf der Zypriot: Ja eben. Gut möglich, dass sich ein Slowene an dieser Stelle vor Lachen krümmen würde. Für unsereinen jedoch sind die handelnden Charaktere Leerstellen und der Witz eine Nullnummer. Wer sind sie also, die neuen Europäer? Wenn die erweiterte Union als kultureller Lebensraum funktionieren soll, dann müssen dringend ein paar griffige Schwarz-Weiß-Wahrheiten her. Stereotypenbildung ist Bürgerpflicht!
Beginnen wir mit dem Baltikum. Selbiges gilt von Zentraleuropa aus pauschal als nordisch, kennt aber durchaus sein inneres mentales Nord-Süd-Gefälle. Die katholischen Litauer gelten als heißblütig und emotional, sie bezeichnen sich selbst gerne als die Italiener des Baltikums und ihre Frauen als die schönsten in Europa. Ihre nächstnördlichen Nachbarn, die Letten, kommen ihnen furchtbar kühl und trocken vor – nordisch eben. Selbige wiederum halten die Esten für langsam, wortkarg und schwer von Begriff, was letztere ihrerseits über die Finnen denken (und diese vermutlich über die Eskimos). Schon ließe sich der erste Beitrittswitz konstruieren: Treffen sich zwei Letten. Sagt der eine: Da drüben steht ein Litauer. Meint der andere: Nein, nein, da rennt ein Este.
Eine tatsächlich im Baltikum kursierende Anekdote erzählt davon, wie nach der Unabhängigkeitserklärung die großen Lenin-Statuen demontiert wurden. In Litauen, heißt es, hielt der Präsident eine flammende Fernsehansprache, das Volk stürmte auf dem Rathausplatz zusammen und stieß Lenin mit den bloßen Händen vom Sockel. In Lettland dagegen setzte die Regierung ein Gremium aus Architekten, Politikern und Ingenieuren ein, die die Statue nach langem Abwägen des Für und Wider mit professioneller Ausrüstung auseinandernahmen. Die Esten hatten längst vergessen, wo das Denkmal stand, und als es ihnen wieder einfiel, heuerten sie ein finnisches Abrisskommando an. Die Litauer, sagt man, geben die besten Priester ab. Die rationalen Letten dagegen gelten als die Deutschen des Baltikums und stellen die besten Juristen. Den pragmatischen, unsentimentalen Esten wiederum sagt man ein Talent zum Ökonomen nach.
Über Polen, Tschechen und Ungarn glaubt der Kerneuropäer mehr zu wissen. Doch welche Pointen werden hier untereinander gesetzt? In polnischen Ohren klingt das Tschechische wie eine ungemein lustige Kindersprache, und wenn dem Polen etwas absolut rätselhaft ist, bezeichnet er das gerne als „tschechischen Film“. Der Tscheche hingegen belächelt das Slowakische, obgleich es einige slowakische Moderatorinnen im tschechischen Fernsehen zu großem Ruhm gebracht haben, weil ihr Akzent als sexy gilt. Wegen Territorial- und Minderheitenkonflikten leben die Slowaken im Dauerzwist mit den Ungarn. Letztere halten erstere für provinziell und sind der Meinung, die meisten Geistesgrößen der Slowakei seien eigentlich Ungarn gewesen. Sich selbst betrachtet der Ungar als den feurigen, eleganten Südländer unter den Osteuropäern. Mit Bier anzustoßen gilt ihm als Landesverrat, weil das die Österreicher nach der Ermordung der ungarischen Revolutionshelden taten. Polen und Ungarn hingegen sind dicke Freunde, auch wenn der Ungar in polnischen Filmen gelegentlich in der Rolle des dümmlichen Gigolos auftaucht, während der Ungar dem Polen nicht unbedingt sinnliche Qualitäten nachsagt. Aus unerfindlichen Gründen glauben ausgerechnet die Esten, dass in Polen wunderschöne Menschen leben.
Einfacher liegt die Sache bei den Zyprioten, da hier bloß bestehende Euroklischees potenziert werden müssen: Die griechischen Zyprioten sind griechischer als die Griechen, die türkischen türkischer als die Türken. Die Malteken hingegen darf man sich trotz ihrer Kolonialvergangenheit keineswegs als besonders britische Briten vorstellen. Sondern eher als besonders katholische Katholiken – was ihrem Hang zu lasziv-sommerlicher Kleidung keinen Abbruch tut.
Über die Slowenen ist wenig in Erfahrung zu bringen, weder von ihnen selbst noch von ihren Nachbarn. Offenbar sind sie zu sehr mit ihrem kleinen Wirtschaftswunder beschäftigt, um sich groß um ihr Image zu scheren. Wir Deutschen sollten ihnen klarmachen, wo das hinführen kann: Schnell ist man als bräsiger Klassenprimus auf Lebenszeit verschrien.
Eines aber ist wohl allen Neueuropäern gemeinsam: Ihre Nationalitätenwitze sind deutlich skrupelloser als unsere. Treffen sich ein Ungar und ein Lette. Fragt der Ungar: Wo ist denn der Deutsche? Meint der Lette: Dem war das hier alles zu chauvinistisch.
*** Ende ***