Hammerkreuz und Hakensichel
So mancher Russe mag sich verblüfft die Augen gerieben haben, als Wladimir Putin im Mai seine zweite Amtszeit als Präsident antrat. Das russische Staatsfernsehen übertrug eine durch und durch eklektische Inaugurationszeremonie, die sich großzügig aus dem Ersatzteilkasten der russischen Vergangenheit bediente: Neben Stechschrittaufmärschen russischer Militärs, die nach wie vor Hammer und Sichel auf den Mützen trugen und den Präsidenten als Genossen adressierten, paradierten vor dem Kremlpalast berittene Offiziere im zaristischen Gardegewand, während aus Lautsprechern die alte Sowjethymne mit neuem Text erklang. Als verwirrendsten Bestandteil der Zeremonie dürften jedoch viele Zuschauer eine orthodoxe Messe registriert haben, in der Putin als Protagonist auftrat und vor laufender Kamera Kreuz um Kreuz schlug.
„Die Aktivitäten von Organen der Staatsmacht (...) sind nicht von öffentlichen religiösen Zeremonien zu begleiten“, heißt es eigentlich in einem 1998 verabschiedeten Religionsgesetz der Russischen Föderation. Im gleichen Atemzug wird dort jedoch auf die „besondere Rolle der Orthodoxie
(...) bei der Formierung des geistigen Lebens und der Kultur Russlands“
verwiesen. Sechs Jahre später macht ein Gerichtsprozess deutlich, wie nah
die orthodoxe Kirche in Russland mittlerweile an den Status einer
Staatsreligion herangerückt ist. Angeklagt sind die Macher der Ausstellung
„Vorsicht, Religion“, einer im Januar 2003 im Moskauer Sacharow-Museum
gezeigten Kunstausstellung. Viele der 42 Künstler, die sich dort kritisch
mit der Rolle der Religion in der heutigen Gesellschaft auseinandersetzten,
arbeiteten mit provokativen Gesten: Ein Tryptichon zeigte eine dreifache
Jesusfigur, die einmal an ein Kreuz, einmal an einen roten Stern und einmal
an ein Hakenkreuz genagelt war. Auf einer manipulierten Coca-Cola-Reklame
prangte das Konterfei des Erlösers neben dem Slogan „Dies ist mein Blut“,
und eine orthodoxe Ikone war zur Fotowand umfunktioniert worden: Durch ein
Loch konnten die Besucher ihren Kopf stecken und sich in der Rolle des
Allmächtigen fotografieren lassen.
Zu sehen waren die Exponate allerdings nur vier Tage lang: Dann wurde die
Ausstellung von orthodoxen Eiferern mit Spraydosen verwüstet. Der Prozess
gegen die Vandalen wurde eingestellt, nachdem die orthodoxe Kirche mittels
einer Öffentlichkeitskampagne Druck auf die Staatsanwaltschaft ausgeübt
hatte. Kurz darauf erwirkte der Dumaabgeordnete Alexander Tschujew eine
parlamentarische Resolution, die die Staatsanwaltschaft zu gerichtlichen
Schritten gegen das Museum aufforderte. Die Vandalen wurden kurzerhand in
den Zeugenstand berufen, während Museumsdirektor Jurij Samodurow sowie die
Ausstellungskuratorin Ludmilla Wasilowskaja und ihre Assistentin Anna
Michaltschuk sich nun dafür verantworten müssen, religiösen Hass geschürt zu haben – ein Vergehen, für das nach Artikel 282 des russischen
Strafgesetzbuches bis zu fünf Jahre Haft verhängt werden können.
Alle drei Angeklagten haben auf unschuldig plädiert. Man habe mit der
Ausstellung lediglich zu einer kritischen Hinterfragung bestimmter
religiöser Tendenzen anregen wollen, erklärte Samodurow vor Gericht, die
orthodoxe Kirche sei dabei nicht einmal das primäre Ziel gewesen. Da jedoch
ein Großteil der ausstellenden Künstler russischer Herkunft sei, hätten sich naturgemäß viele der Werke mit der Orthodoxie auseinandergesetzt.
Mindestens genau so bedenklich wie die Beschneidung der künstlerischen
Ausdrucksfreiheit, die dem Prozess zugrunde liegt, ist die Gleichsetzung von orthodoxer Religion und russischer Staatsangehörigkeit: Die Ausstellung habe Gläubige in ihrer „nationalen Würde“ verletzt, formulierte der Staatsanwalt, und im Zuschauerraum sekundierten ihm Kirchenanhänger, auf deren T-Shirts die Aufschrift „Wir sind Russen“ zu lesen war. Immerhin ist es der Verteidigung zum Prozessbeginn Ende Juni gelungen, die Staatsanwaltschaft wegen dieser unheiligen Tatsachenvermischung zur Neuordnung der Anklage zu zwingen. Mit einem Urteil wird frühestens in zwei Monaten gerechnet.