Gemischtes Doppel #12: Völker hört die Signale
Liebe Leserinnen und Leser,
haben Sie alle ihre Putinempfänger richtig eingestellt? Wenn nicht, tun Sie das eiligst, denn der Kreml sendet wieder. Signale. Und zwar so massiv und so ungewohnt, dass manch einer schon ein Tauwetter wittert. War da nicht was mit drittem Weltkrieg und so weiter?
Die Idee mit dem Weltkrieg findet man in der russischen Führung tatsächlich weniger interessant. Bei seinem Auftritt vor dem Waldai-Diskussionsclub in Sotschi sagte Putin höchstpersönlich, er unterstütze natürlich keineswegs die Nuklear-Rhetorik seines Propaganda-Schlosshundes Dmitrij Kisseljow.
Via Bloomberg ließen hohe Kremlbeamte zudem durchsickern, der Präsident habe ein paar zuständige Militärs zusammengefaltet, weil diese Gefallen an riskanten Manövern russischer Flugzeuge über US-Schiffen gefunden haben. Zudem hat der Oberbefehlshaber seinem Verteidigungsminister die Wiederaufnahme der Bombardements von dem verweigert, was von Ost-Aleppo noch übrig geblieben ist.
Als ob das nicht schon genug wäre, hatte auch noch Putins Sprecher Dmitrij Peskow seinen großen Auftritt, als er den inzwischen leider schon international berühmten Biker, Nachtwolf und Putin-Fan Alexander Saldostanow alias „Chirurg“ aufforderte, sich beim Regisseur Konstantin Rajkin zu entschuldigen und ihn abschätzig als „diesen Motorradfahrer“ titulierte. Zuvor hatte Rajkin sich über die zunehmende Zensur in seiner Zunft beklagt. Der Biker hatte dem renommierten Regisseur in seiner typisch groben Art vorgeworfen, das Land in eine Kloake verwandeln zu wollen.
Sie fragen zurecht: Was soll das bedeuten?
Mit Gewissheit ist es keine plötzliche politische Wende in Russland, deren logisches Ende der NATO-Beitritt sein wird. Vielmehr lassen sich taktische Gründe vermuten. Die Waldai-Foren waren seit jeher eine Möglichkeit für Putin und die russische Elite, sich als durchaus gesprächsbereite und verhandlungsfähige Akteure zu präsentieren. Viel interessanter ist der Umgang des Kremls mit Unterstützern wie Chirurg, die plötzlich von Hofmotorradrockern zu bloßen „Motorradfahrern“ degradiert werden. Denn dieser folgt einem bewährten System.
Immer dann, wenn solche Unterstützer anfangen, unabhängig zu agieren und sich als ehrliche Eiferer des Regimes ins Spiel bringen, gehen sie ein großes Risiko ein. Immer dann, wenn sie glauben, im Kreml einen ideologischen Verbündeten gefunden zu haben, beweist dieser das Gegenteil. Denn nichts weniger können die Machthaber und Bürokraten in Russland leiden als politische Eigeninitiative. Egal ob für oder gegen sich. Das Motto heißt: „Wir entscheiden, gegen wen ihr hetzen dürft“. Offenbar gehörte ein Skandal mit Russlands Kulturschaffenden gerade nicht zu Putins Plänen.
Diese Erfahrung durften schon etliche vor Saldostanow machen. So etwa der bekannte Nationalist Alexander Dugin, der seinen Lehrstuhlposten verlor, als er zu eifrig für einen offenen Krieg mit der Ukraine warb. Ähnlich erging es der ersten Generation der russischen Donbass-Kämpfer wie Igor Strelkow, die zuerst von den Staatsmedien zu Helden gemacht wurden und mittlerweile in Vergessenheit geraten sind.
Ein Lied kann davon auch der orthodoxe Eiferer Wsewolod Tschaplin singen. Von ihm unterstützte Aktivisten stürmten im vergangenen Jahr eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Moskau. Die Aktivisten wurden festgenommen. Wenig später war auch Tschaplin seinen Posten in der Abteilung für Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft beim Moskauer Patriarchat los. Wie die Faust auf die letzte Woche passt da eine ausführliche Analyse von Alexander Baunow, Chefredakteur von carnegie.ru, die just zur gleichen Zeit veröffentlicht wurde: Nach Baunows Interpretation gehören "Volkshelden" von Girkin bis Saldostanow zu einer etwa zweijährigen Phase, in der das Regime mit ehrlichen, aber unabhängigen Unterstützern flirtete. Der etwa zweijährige Tanz auf dem Vulkan findet jetzt aber sein Ende. Der "Legitimationstypus" des Putinschen Regimes sei eben kein "revolutionärer", sondern ein "konservativer."
Wenn dem so ist, sollten die Übereifrigen ihre Putinempfänger wohl auch etwas feinjustieren. Sonst könnten sie wenn nicht auf dem Müllhaufen, so zumindest auf dem Abstellgleis der neueren russischen Geschichte landen.
Das Gemischte Doppel gibt persönliche (Ein)-Blicke auf die Ukraine und Russland, geschrieben von Inga Pylypchuk und Ian Bateson (Ukraine) sowie Maxim Kireev und Simon Schütt (Russland). Das Gemischte Doppel ist Teil des Internationalen Presseclubs „Stereoscope“ von n-ost. Für Abonnenten immer montags als Newsletter und auf ostpol.
Wenn Sie unser Gemischtes Doppel abonnieren und folglich jeden Montag pünktlich auf den Frühstückstisch bekommen wollen, schreiben Sie uns.
Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und an stereoscope@n-ost.org.