Ungarn

Stummschaltung einer Zeitung

Aus dem Ungarischen von Christian-Zsolt Varga und Petra Ertl
zur Originalversion auf 444.hu

Die Auflösung der Népszabadság war keine rationale wirtschaftliche Entscheidung, sondern der neueste Schachzug einer sich immer autoritärer gebärenden, sich vor jeder Gegenmeinung fürchtenden, primitiven und rachsüchtigen Herrschaft. Sie ist ein weiterer heftiger Schlag gegen die ohnehin schon massiv in die Ecke gedrängte ungarische Pressefreiheit.


Putschartiges Vorgehen

Dass die Népszabadság, wie auch viele andere gedruckte Tageszeitungen weltweit, seit Jahren mit ernsthaften und existenziellen Problemen kämpft, steht außer Frage. Ebenfalls keine Frage ist es, dass, welche Gründe es für die Auflösung eines Unternehmens aus Eigentümersicht auch geben mag, man nicht so vorgeht wie jetzt mit der Népszabadság: Putschartig, die Mitarbeiter hinters Licht führend, aus ihren Büros ausgeschlossen, von ihren Mails abgeschnitten. Und natürlich geht man in einem zivilisierten Land auch mit den Lesern einer Zeitung nicht so um.

Wer diesen schändlichen Putsch in Auftrag gegeben hat, wissen wir noch nicht. Bei der ungarischen Wirtschaft, aber insbesondere bei der Eigentumsstruktur im ungarische Pressewesen, weiß man nie so genau, in wessen Händen die Fäden tatsächlich zusammenlaufen. Das ist die typische ungarische Strohmänner-Wirtschaft. Auf dem Papier ist der Eigentümer der Népszabadság ein Unternehmen namens Mediaworks, hinter dem der mysteriöse österreichische Geschäftsmann Heinrich Pecina steht. Darüber, wer ihn kontrolliert, wurden im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Theorien aufgestellt. Aber eigentlich weisen sie alle in eine Richtung: Befehlsgewalt über Pecina hat derjenige, der gerade am meisten zahlt.

Heutzutage ist es in Ungarn keine Frage, wer am meisten bezahlen kann. Es ist der von Viktor Orbán angeführte, ziemlich enge politisch-wirtschaftlich-geistige Kreis, welcher nur noch über sehr kleine Teile Ungarns nicht die totale politische, wirtschaftliche und geistige Kontrolle ausübt. Es besteht nicht der Hauch von Zweifel daran, dass die plötzliche Auflösung der Népszabadság auf den Befehl dieses Kreises hin erfolgte.


Keine wirtschaftlichen Gründe

Wenn hier eine wirtschaftliche Entscheidung getroffen worden wäre, dann wäre garantiert zumindest das Internetportal der Népszabadság — nol.hu — am Leben erhalten worden. Es wäre nicht die erste politische Tageszeitung in den vergangenen Jahren gewesen, die ihre gedruckte Ausgabe einstellt. Dass dies nicht so abgelaufen ist, ist schon ein todsicheres Zeichen dafür, dass hier nicht wirtschaftliche Rationalität das Ziel war, sondern die Stummschaltung einer Zeitung, welche in den vergangenen Wochen zwei für die Machtinhaber höchstunangenehme Affären ans Tageslicht gebracht hat, die wie Bomben eingeschlagen sind.

Die [kürzlich von Népszabadság aufgedeckte] Hubschrauber-Tour von Orbans Kabinettchef Antal Rogán wie auch der Fall der an Notenbank-Chef György Matolcsys Liebhaberin geflossenen öffentlichen Gelder sind Geschichten, die der Regierungspartei Fidesz am meisten weh tun. Sie haben die Aufmerksamkeit dermaßen wirkungsvoll auf die ganz Ungarn im Würgegriff haltende Korruption gelenkt, dass nicht einmal eine milliardenschwere Anti-Flüchtlings- Hasskampagne von ihr ablenken konnte. Dort, wo es keine fundierten Argumente gibt, die Propaganda aber nicht mehr greift, bleibt nur noch die Gewalt.

Übrigens hat Ungarns zynischer und verlogener Ministerpräsident im Dezember 2015 folgendes gesagt: „Die Gedanken-, Äußerungs- und Pressefreiheit in Ungarn ist bunter, breiter und tiefer als westwärts von uns.“

444.hu ist eines der renommiertesten Nachrichtenportale für unabhängigen und kritischen Journalismus in Ungarn. 2013 wurde es von einem ehemaligen Népszabadság-Mitarbeiter und späteren Chefredakteur des großen ungarischen Nachrichtenportals index.hu gegründet. 2014 erhielt 444.hu eine Spende in Höhe von 49.500 Dollar von der Open Society Foundation.

So kommentieren andere osteuropäische Zeitungen das Ende von Népszabadság.


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