Rekordversuch über den Wolken
Moskau. (n-ost) Klirrende Kälte und kilometerdicke Eiskruste, soweit das Auge reicht: Das steht Valentin Jefremow und seinem Mini-Team in den kommenden Monaten bevor. Mit dem Heißluftballon will das russische Trio als erste Expedition den Nordpol erreichen.
Die Gondel des Heißluftballons „Heilige Rus“ schaukelt beim Einsteigen ein wenig, fünf Passagiere lächeln sich verlegen an und rutschen eng zusammen. Schließlich verliert die Gruppe langsam den Boden unter den Füßen. Das Gefühl der Schwerelosigkeit wird erst auf einer Höhe von gut 30 Metern durch einen starken Ruck jäh unterbrochen: Vier dicke Taue sorgen dafür, dass der Heißluftballon nicht abhebt, sondern über dem Parkplatz des Skiklubs „Leonid Tjagatschew“, 40 Kilometer nördlich von Moskau, schweben bleibt. Jefremow schwärmt vom Fliegen und will mit dieser kurzen Demonstration auch die Journalisten von seiner Leidenschaft überzeugen. „Das ist Freiheit, Abenteuer, eine richtige Herausforderung“, sprudelt es aus ihm heraus.
Gemeinsam mit Igor Rewniwych und Julia Petrowa, einer Studentin der Luft- und Raumfahrt in St. Petersburg, plant der Mittvierziger sein bislang größtes Abenteuer: Voraussichtlich am 17. Mai will das Trio mit dem Heißluftballon „Heilige Rus“ in Richtung Nordpol starten. Am Ziel sein möchten die drei in einem Monat, vielleicht aber auch erst in einem Jahr. Jefremow winkt ab: „Die Zeit spielt doch überhaupt keine Rolle.“
Für den Russen sind Extremreisen nicht nur Berufung, sondern Beruf: Der studierte Geograf hat bereits mit einer Jacht das Nordpolarmeer durchsegelt und ist mit einem Hundeschlitten zum legendären Sannikow-Land gepirscht. Irgendwo auf der unendlichen Eisfläche des Arktischen Kaps weht wohl heute noch seine Flagge, die die Nachwelt daran erinnert, dass Jefremow als erster Mensch dieses Gebiet betreten hat. Auch die fernöstliche Halbinsel Tschukotka und die Osterinseln hat der Extremreisende schon im Alleingang entdeckt. „Es ist mein Kindheitstraum, mit dem Heißluftballon zum Nordpol zu fliegen“, sagt er über seine bevorstehende Expedition, die vom russischen Finanzdienstleister „Metropolj“ gesponsert wird.
Angst habe er bei seiner bevorstehenden Expedition überhaupt nicht, sagt Jefremow. „Wir leben ja nicht mehr im Mittelalter, sondern haben allerlei moderne Technik an Bord“. So hält das Team per Satellitentelefon Kontakt zu einer Station in Moskau, die im Notfall einen Spezialflieger verständigt, der sich immer in der Nähe des Heißluftballons aufhält. Das Flugzeug versorgt das Trio auch mit Lebensmitteln, Zahnpasta und Gasbehältern. Die Güter werden in der Nähe des voraussichtlichen Landeplatzes abgeworfen, wo sich das Trio abends zum Zelten niederlässt.
Der Heißluftballon ist eine Spezialkonstruktion, die selbst klirrender Kälte standhält: Auf einer Höhe von 2 500 Kilometern kann das Thermometer schon mal auf minus 60 Grad Celsius absinken. Schutz bietet jedoch spezielle Polarkleidung, erklärt Studentin Julia Petrowa.
Ernähren wird sich die Crew der Gondel hauptsächlich von Stroganina, der in dünne Scheiben geschnitten und roh gegessen wird. Dieser nordische Fisch enthalte alle lebensnotwendigen Spurenelemente, erklärt Jefremow. Wenn er dazu ein Stück Brot, ein wenig Tee mit eingedickter Kondensmilch habe, sei er vollkommen glücklich, so der Reisende.
Jefremow ist nicht der erste, der auf die Idee gekommen ist, den Nordpol in einer offenen Kabine zu bezwingen: Bereits 1897 machte sich Salomon Andre auf den Weg von Spitzbergen zum Pol, die Crew kam jedoch bei einem Unwetter ums Leben. Ein ähnliches Schicksal ist dem Erfinder des Dynamits, Alfred Nobel, widerfahren: 1913 verscholl er mit seiner Mannschaft mit dem Heißluftballon. Die Todesursache ist bis heute ungeklärt. Sollte es dem russischen Trio nun gelingen, den Nordpol zu erreichen, so dürften sie in die Annalen der Ballonfahrt eingehen
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Veronika Wengert