Ukraine

Gemischtes Doppel #7: Im Minenfeld der Geschichte

Manchmal scheint es, als wäre die ukrainische Geschichte ein Minenfeld, hinterlassen von der Sowjetunion, um den ukrainischen Staat zu sabotieren, sollte er jemals wieder auf die Beine kommen. Ein Feld voller großer Themen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die entweder unbewältigt, zumindest aber wenig bekannt sind. Und die Geschichte wartet darauf, dass jemand darüber läuft, auf dass ihm das Ganze um die Ohren fliege.

Diese Woche versucht die ukrainische Regierung nun, wenigstens eine dieser Minen zu entschärfen. Nach mehr als zwei Jahren, in denen die russische Propaganda die Regierung der Ukraine als faschistische Junta darstellte, wird das Land einen wichtigen Jahrestag des Holocaust so groß begehen wie nie zuvor. Vor 75 Jahren wurden mehr als 33.000 Juden unweit von Kiew in der Schlucht Baby Jar von deutschen Einsatzgruppen erschossen.

Die Ereignisse waren wenig bekannt in der Sowjetunion. Und trotz eines neuen Denkmals, das in den 90ern errichtet wurde, galt das auch für die postsowjetische Ukraine. Doch dieses Jahr wird der ukrainische Präsident einen neue Gedenkstätte eröffnen. Jüdische Geschäftsleute legen den Grundstein für das erste Holocaustmuseum der ukrainischen Hauptstadt, und es gibt eine unendliche Reihe von Konferenzen und Filmvorführungen zum Thema. Schluss mit der Junta-Kritik, Schluss mit dem Thema Antisemitismus in der Ukraine. Und auch der jüdische Premierminister der Ukraine, Volodymyr Groysman, wird sicher zufrieden sein.

Aber während die eine Mine gerade entschärft wird, steht eine andere kurz vor der Explosion. Im Juli hat das polnische Parlament die Massaker an Polen 1943 im (heute ukrainischen) Gebiet Wolhynien, durchgeführt von den ukrainischen Nationalistenorganisationen UPA (Ukrainische Aufständische Armee) und OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten), einstimmig als Genozid bezeichnet. Polnische Zeitschriften zeigen jetzt blutige Titelblätter zum Thema, etwa mit der Überschrift: „Verräter Polens - wie Juden, Ukrainer und Deutsche uns 1939 den Dolchstoß versetzten".

Das ukrainische Parlament jedoch ließ sich nicht lange bitten und brachte seine eigene Gesetzesvorlage ein: Diese wiederum handelt vom Genozid, den der polnische Staat von 1919 bis 1951 an den Ukrainern begangen hat. So viel zur polnisch-ukrainischen Solidarität.

Zum Glück gibt es auch kühlere Köpfe. So schreibt der Direktor des „Ukrainischen Instituts für nationales Gedächtnis" Wolodymyr Wjatrowytsch: „Was soll die Reaktion des ukrainischen Parlaments? Meiner Meinung nach sollte es die Finger von der Vergangenheit lassen. Bewertungen historischer Ereignisse durch Politiker, besonders solcher Ereignisse, die wenig von Wissenschaftlern bearbeitet wurden, verletzen das Verständnis von Vergangenheit und Gegenwart.”

Klingt gut. Das einzige Problem: Eben jener Herr Wjatrowytsch hat sich selbst nicht daran gehalten. Unter seiner Führung erließ das ukrainische Parlament ein Gesetz, das die Beleidigung der UPA und OUN als Straftat definiert - allerdings ohne konkretes Strafmaß. Es war eben dieses Gesetz, das die polnische Deklaration provoziert hatte.

Auch für die ukrainischen Juden ist das nicht unproblematisch, denn UPA- und OUN-Kämpfer waren ebenso an der Tötung von Juden beteiligt.

Damit wären wir wieder zurück auf dem Minenfeld. Auf dem Minenräumer mit Fingerspitzengefühl gefragt wären. Eigentlich.

Das Gemischte Doppel gibt persönliche (Ein)-Blicke auf die Ukraine und Russland, geschrieben von Inga Pylypchuk und Ian Bateson (Ukraine) sowie Maxim Kireev und Simon Schütt (Russland). Das Gemischte Doppel ist Teil des Internationalen Presseclubs „Stereoscope“ von n-ost. Für Abonnenten immer montags als Newsletter und auf ostpol.

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