Gegenwind für Nord Stream 2
Blauer Himmel, blaues Meer, unberührte Wattlandschaften – und eine sichere und umweltfreundliche Gaspipeline aus Russland quer durch die Ostsee nach Deutschland: Mit solchen Bildern wirbt das Betreiber-Konsortium für den Bau der Pipeline Nord Stream 2. Auf Nachfrage bei Umweltorganisationen bekommt das Postkartenidyll allerdings Risse. „Die Pipeline wird auf russischem Gebiet wahrscheinlich mitten durch ein Naturschutzgebiet gebaut“, sagt Michail Kreindlin von Greenpeace in Moskau. Damit würden mehrere internationale Konventionen zum Schutz der Umwelt in der Ostsee verletzt.
Der staatsnahe russische Energiekonzern Gazprom, welcher die Mehrheit am Nord Stream 2-Konsortium hält, prüft zwei Varianten, an denen die Pipeline in den Finnischen Meerbusen münden könnte. Entweder nahe der Stadt Kingisepp, 138 Kilometer südwestlich von St. Petersburg. Die Pipeline würde dann durch ein Naturschutzgebiet auf der Halbinsel Kurgalsky führen, welche für ihre besondere Artenvielfalt bekannt ist.
Weitere Pipeline notwendig?
Zweite Variante: Die Pipeline würde nördlich davon verlegt und einen Umweg um das beanstandete Areal machen. Doch für den Gaskonzern macht die Route durch das Naturschutzgebiet mehr Sinn. Sie sei kürzer und damit günstiger, meint Kreindlin. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht. Bereits vor einem Jahr hatte Gazprom-Chef Alexej Miller gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters allerdings angekündigt, dass Nord Stream 2 durch den Bezirk Kingisepp führen soll.
Gas von der nordwestsibirischen Jamal-Halbinsel soll Ende 2019 erstmals durch die zwei Stränge von Nord Stream 2 mit einer Kapazität von insgesamt 55 Milliarden Kubikmeter fließen.
Gazprom argumentiert, dass eine weitere Pipeline zur bereits bestehenden Nord Stream-Leitung notwendig sei, um den steigenden Bedarf Europas an Energieimporten zu decken, denn in der EU selbst werde immer weniger Gas gefördert. Neben dem russischen Gasriesen, der 50 Prozent an Nord Stream 2 hält, sind BASF/Wintershall, Engie, Uniper, Shell und die österreichische OMV jeweils mit zehn Prozent an der acht Milliarden teuren Pipeline beteiligt. Laut der OMV laufen Vorbereitungen für eine Abzweigung von Greifswald, dem Endpunkt von Nord Stream 2, nach Österreich zum Gashub in Baumgarten.
Die Umweltfreundlichkeit soll geprüft werden
Um wie geplant 2018 mit der Verlegung der ersten Rohre beginnen zu können, fehlt dem Konsortium allerdings noch die Baubewilligung. Ihren Segen müssen neben Russland und Deutschland auch Finnland, Schweden und Dänemark erteilen, da der Offshore-Teil der rund 1.200 Kilometer langen Pipeline durch deren Wirtschaftszonen führt.
2017 sollen die Verhandlungen zur Bewilligung beginnen. Vorher würden die geplanten Routen auf ihre Umweltfreundlichkeit analysiert, schreibt die Projektgesellschaft Nord Stream 2 auf Anfrage dieser Zeitung. Die bisherigen Erfahrungen hätten gezeigt, dass die Umwelt in der Ostsee durch den Bau der Pipeline nicht leidet. Nord Stream 2 erhält laut dem im schweizerischen Zug beheimateten Unternehmen die Bauerlaubnis nur, wenn alle relevanten nationalen Gesetze und internationalen Konventionen eingehalten werden.
Gegenüber Nord Stream 2 gibt es allerdings nicht nur Umweltbedenken. Die EU ist in der Frage gespalten. Neben einer stärkeren Abhängigkeit von russischem Gas wird etwa befürchtet, Moskau könnte die Ukraine so als Transitland umgehen und Kiew dringend benötigte Einnahmen verlieren.
Deutsche Politiker machen sich für die Pipeline stark
Während Staaten aus dem Baltikum und Osteuropa vehement gegen den Bau auftreten und sich dadurch bei ihrer eigenen Gasversorgung übergangen sehen, machen sich deutsche Politiker für eine Umsetzung stark. Laut Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sei allerdings eine Weiterführung des Gastransits durch die Ukraine eine der Bedingungen, damit Nord Stream 2 gebaut werden kann.
Die EU-Kommission hält sich momentan aber bedeckt und verweist auf weitere Gesprächsrunden, bis eine Einschätzung möglich ist. Nord Stream 2 sei ein kommerzielles Projekt von verantwortungsvollen Energieversorgern und widerspreche nicht den Regeln der EU, antwortet Anteilseigner OMV auf die Frage, ob die Pipeline nicht die Abhängigkeit Europas vom russischen Gas zementiert.
Gazprom selbst agiert nach dem Fiasko mit South Stream, in die vor der Stilllegung bereits 15 Milliarden Dollar investiert wurden, vorsichtiger. Die geplante Pipeline South Stream, welche Gas durch das Schwarze Meer via Bulgarien bis nach Österreich bringen sollte, entsprach nicht den EU-Regeln. Dieses sieht vor, dass Energieproduktion und -transport nicht vom selben Unternehmen durchgeführt werden dürfen.
Nun will Moskau Nord Stream 2 explizit als wirtschaftliches Projekt verstanden wissen. Alexej Miller, Chef des Energieriesen, argumentierte so am Wirtschaftsforum in St. Petersburg vor allem mit Zahlen: Kiew verlangt derzeit für den Transit von 1.000 Kubikmetern Gas 2,5 Dollar pro 100 Kilometer. Die neue Leitung durch die Nordsee ist günstiger. Berechnet wird für dieselbe Menge und Strecke nur 2,1 Dollar. Mehr als 40 Milliarden Euro will der Gazprom-Chef in den kommenden 25 Jahren so einsparen. Im Bezug auf den Transit durch die Ukraine gibt sich Miller kompromissbereit. Auch nach 2020 werde ein Rest Gas über die Ukraine nach Europa fließen.
Der Energiekonzern setzt auf einen raschen Bau der Pipeline. Der europäische Markt ist umkämpft. Konkurrenz bekommt Russland insbesondere durch die Transadriatische-Pipeline (TAP), die ab 2020 Gas aus Aserbaidschan nach Italien liefert und für zusätzlichen Preisdruck sorgen könnte. Ob sich Nord Stream 2 letztlich als wirtschaftlich rentables Projekt erweist oder politische Beweggründe doch überwiegen, muss sich allerdings erst zeigen.