Mit Mode nach Europa
Es gab eine Zeit, als Tatjana Abramowa oft nach Russland reiste. Eine Zeit, als sich modebewusste Frauen auch in Moskau in die flauschigen Pullover und eleganten Kleider aus der Kiewer Produktion hüllten. Bis in die sibirische Metropole Nowosibirsk wurden die Kollektionen der ukrainischen Marke „Rito“ verkauft, erzählt die Unternehmerin Abramowa.
Doch mit dem Maidan wurde alles anders. Mit dem russischen Propagandafeldzug gegen den „Faschistenputsch in Kiew“ wurde das Label „Made in Ukraine“ zum Makel. Immer öfter hätten russische Kunden Abramowa gebeten, das ukrainische Etikett aus den Kleidern zu entfernen. Da reichte es der Unternehmerin: „Da geht es um eine Verantwortung als Bürger, und nicht mehr ums Geschäft.“ Von heute auf morgen stellte sie die Exporte nach Russland ein.
Die Krise als Chance
Browary, eine Kleinstadt, unmittelbar am Kiewer Stadtrand. Abramowa, Anfang 50, mit dem hellen Lachen einer 20-Jährigen, stürmt mit wehendem Kleid in grellem Türkis durch die Fabrikräume. Es ist ein heißer Tag im Juni. Auf zwei Stockwerken, dem „Design-Laboratorium“, wie sie es nennt, wird gewoben, genäht und gebügelt. Die Maschinen brummen, italienisches Garn wird zu feinem Strick verwoben. Im Obergeschoss entwerfen junge Designerinnen die Kollektion für die „Ukrainian Fashion Week“.
Abramowa ist keine Unternehmerin, die gerne jammert. „Krisen sind da, um sich weiterzuentwickeln“, sagt sie. Das chinesische Zeichen für „Glück“ hat sich Abramowa auf das rechte Schulterblatt tätowieren lassen. Das Glück der Tüchtigen: Vor einem halben Jahr, pünktlich zum Beginn des Freihandelsabkommens mit der EU, hat ihre Marke Rito ein Geschäft in der litauischen Hauptstadt Vilnius eröffnet. Zehn Prozent der Produktion wird schon ins Baltikum geliefert, so Abramowa. Dieser Tage öffnet ein Schauraum in Dänemark. Ist das Russland-Geschäft vorbei? Sie zuckt nur mit den Achseln. „Aus Russland raus, nach Europa rein.“
Am 1. Januar 2016 trat das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine in Kraft. Die vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA) ist ein Teil des EU-Assoziierungsabkommens – des Vertrags, den der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch im November 2013 ablehnte und somit die Proteste am Maidan entfesselte. Der wirtschaftliche Teil des Abkommens sieht vor, alle Zölle schrittweise abzuschaffen und die ukrainische Produktion an EU-Standards anzugleichen. Mit knapp 40 Prozent des Außenhandels ist die EU zum wichtigsten Handelspartner für die Ukraine geworden, auf Russland entfielen 2015 nur noch 17,9 Prozent.
Frust über das Abkommen
Doch nicht alle sind mit dem Abkommen glücklich. Die Schwarzerdeböden der „Kornkammer Europas“, wie die Ukraine auch genannt wird, gelten als besonders ertragreich. Aber gerade bei Agrarprodukten sind die zollfreien Ausfuhren beschränkt. So waren die Quoten für Mais und Weizen bereits in den ersten Monaten dieses Jahres ausgeschöpft. „Die Freihandelszone mit der EU ist ein Betrug“, machte zuletzt der Agrarunternehmer Jurij Kosjuk in einem Interview seinem Ärger Luft.
„Leider spiegelt das Freihandelsabkommen derzeit nicht die Realität der ukrainischen Wirtschaft wider“, sagt auch die ukrainische EU-Ministerin Iwanna Klympusch-Zynzadse auf Anfrage. So wurden die Regeln für das Freihandelsabkommen im Jahr 2011 verhandelt – lange Zeit vor dem Maidan, der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass. Mit Inkrafttreten der Freihandelszone hat Russland zudem ein Importverbot für ukrainische Lebensmittel verhängt. „Wir diskutieren derzeit eine schnellere Liberalisierung für den Zugang zum EU-Binnenmarkt“, so Klympusch-Zynzadse. Im April wurde der EU ein Maßnahmenpaket übergeben.
Dabei sind aber auch viele Probleme, die den Handel mit der EU erschweren, hausgemacht, sagt Taras Kutschka, Berater des ukrainischen Außenministers in Handelsfragen. Viel schwerwiegender als die Quoten, die nur landwirtschaftliche Produkte betreffen, seien die „systemischen Probleme“, also die Anbindung an die westliche Infrastruktur, bürokratische Hürden in der Ukraine selbst oder von der Nationalbank initiierte Zahlungsbeschränkungen, um die Währung zu stabilisieren. „Da stößt man schnell an die gläserne Decke des Handels“, sagt Kutschka.
Steine im Weg
Eine Decke, an die auch schon Abramowa gestoßen ist. Sie möchte ihre Produktion in den kommenden Jahren von 25.000 auf 50.000 Einzelstücke verdoppeln, die Hälfte davon könnte in den Export gehen. Dafür will sie ein Tochterunternehmen in Litauen gründen, um von dort den skandinavischen Markt zu bearbeiten. Dazu braucht sie aber eine Lizenz der Nationalbank – für ein mittelständisches Unternehmen mit 100 Mitarbeitern eine Kosten- und Ressourcenfrage, die bis zu einem Jahr dauern kann, wie sie sagt. „Da sagt unsere Regierung ständig: Geht nach Europa!“ sagt Abramowa. „Und räumt uns zugleich Steine in den Weg.“
Aber schnell wird die energische Unternehmerin wieder positiv. In ihrem Büro stapeln sich die Prospekte, Fotos von Modeschauen hängen an der Wand. Seit Kurzem gibt es auch einen Online-Shop. „Wir fürchten uns nicht vor Europa“, schüttelt sie den Kopf. Und letztlich kann es nur ein gutes Omen sein, was Rito auf Litauisch bedeutet: der Morgen.
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Quellen:
Persönliche Treffen in Kiew
Besuch der Textilfabrik
Interview mit der Ministerin für europäische und euro-atlantische Intergration der Ukraine, Iwanna Klympusch-Zynzadse
Statement Juri Kosjuk (Russisch)
http://www.pravda.com.ua/rus/news/2016/01/18/7095781/