Belgrads neues Gesicht
Am Ufer der Save steht ein frisch renoviertes Prachthaus. Vor kurzem war die ehemalige Bank, Baujahr 1905, noch eine Ruine. Innerhalb von vier Monaten wurde sie renoviert und ist jetzt der Firmensitz der Baufirma „Eagle Hills”. Mit dem schnellen Bau wollte die Firma zeigen, dass sie es ernst meint mit dem Projekt „Belgrad am Wasser”.
In Turbo-Geschwindigkeit soll sich in den kommenden Jahren das Gesicht der serbischen Hauptstadt verändern und einen zeitgemäßen, modernen Feinschliff bekommen. 13.000 neue Büroarbeitsplätze, Shoppingmalls, Luxushotels und neue Wohnungen sollen entstehen. Dazu ein 200 Meter hoher Turm, der die Innenstadt Belgrads überragt. Laut der serbischen Regierung liegt das Investitionsvolumen bei rund 3,2 Milliarden Euro.
Am Firmensitz der Firma „Eagle Hills” können sich Besucher per Touchscreen durch die Pläne klicken. Hauptgeschäftsführer Nikola Nedeljkovic führt durch den repräsentativen Bau. „Belgrad am Wasser” verleiht der Hauptstadt ein neues Gesicht. Er argumentiert: „Gleichzeitig kommt Belgrad wieder dorthin zurück, wo die Stadt hingehört - ans Wasser. Derzeit sind dort hauptsächlich Gleise und der Hauptbahnhof, die verlegt werden.“
Mit Belgrad verhalte es sich laut Nedeljkovic wie mit dem Firmensitz von Eagle Hills: Die Stadt habe eine gute Substanz, aber die müsse komplett renoviert werden. Tatsächlich liegen attraktive Flächen in der Innenstadt brach oder werden von kaum genutzten Lagerhallen und Gleisen in Anspruch genommen. Belgrad würde etwas gewinnen, aber nichts verlieren, schlussfolgert Nedeljkovic.
Protest mit Quietsche-Ente
Doch nicht alle sehen das so. Marko Aksentijevic schüttelt mit dem Kopf, wenn er solche Argumente hört: „Welches serbische Unternehmen soll denn diese Megaprojekte durchführen? Hier kann das doch niemand“, sagt der Aktivist. Sein Arbeitsumfeld ist nicht so prächtig wie das von Nikola Nedeljkovic. Die Bürgerinitiative „Ne davimo Beograd“ sitzt in einer Privatwohnung im Belgrader Stadtteil Dorcol. „Ne da(vi)mo Beograd“ ist ein Wortspiel, das bedeutet „Wir geben Belgrad nicht her“ und „Wir ertränken Belgrad nicht“. Die Einkaufszentren in Belgrad seien schlecht besucht, und Wohnungen und Büros gebe es genug in der serbischen Hauptstadt, sagt Aksentijevic. Am Donnerstag demonstrierten 15.000 Menschen gegen das Projekt.
Belgrad liegt in der Umarmung zweier Flüsse, zwischen Donau und Save. Im Sommer findet das Leben am Wasser statt – an den Ufern und auf den zahlreichen sogenannten Splavs, den Partyschiffen. Direkt an der Save, unweit des historischen Zentrums, liegt der Stadtteil Savamala – die kleine Save. Es ist das kulturelle Zentrum Belgrads mit vielen Clubs, Ateliers und Kreativen. Auch sie haben nun Angst um ihre Existenz.
Aksentijevic klagt, dass es sich bei dem Projekt um einen großen Betrug handelt. Er hält in seiner rechten Hand eine gelbes Quietsche-Entchen – das Maskottchen der Gegner von „Belgrad am Wasser”. Aksentijevic studiert den Bauvertrag und sagt zwei Zigaretten später: „Die Regierung hat es geschafft, dass alle nur darüber reden, ob „Belgrad am Wasser” schön wird oder nicht. Doch diese Frage ist gleichgültig, weil es sowieso niemals gebaut wird.“
Investitionen des Steuerzahlers
Mit Juristen und anderen Aktivisten hat er sich den Vertrag zwischen dem serbischen Staat und dem Unternehmen Eagle Hills angeschaut. Von den angekündigten 3,2 Milliarden Euro Investitionen stehe da nichts drin.
Auch die Verteilung der Investitionen sei etwas anders als in der Öffentlichkeit dargestellt. Die Verantwortlichen in Serbien stellten Mohammed al-Abbar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten als Hauptinvestor dar. Doch in Wirklichkeit komme ein Großteil der Investitionssumme aus der serbischen Staatskasse selbst.
„Eagle Hills” hat sich bislang nur zur Investition weniger Millionen Euro verpflichtet. Dafür hat das Unternehmen einen gesamten Stadtteil auf 99 Jahre verpachtet bekommen. Aksentijevic wedelt mit einer Kopie des Vertrags durch die Luft und sagt: „Dieses Projekt wird vom serbischen Steuerzahler bezahlt. Sinn und Zweck ist es, öffentliche Gelder in private Taschen fließen zu lassen.“
Für den Deal zwischen dem serbischen Staat und Eagle Hills wurde sogar die serbische Verfassung geändert. Die Regierung von Ministerpräsident Aleksandar Vucic nutzte ihre Zweidrittelmehrheit, um ein eigenes Gesetz zu schaffen, weil das Gelände sonst gar nicht an Eagle Hills hätte verpachtet werden dürfen.
Vom Abrisswagen vertrieben
Dabei zeigte sich in der Nacht vom 24. auf den 25. April, dass auch bestehende Gesetze in Belgrad nicht viel wert sind. Das Miksaliste war eine Art Fabrikhalle und seit August vergangenen Jahres eine Anlaufstelle für die über hunderttausend Flüchtlinge, die über die Balkanroute nach Serbien gekommen sind. In der Nacht auf den 25. April, wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale für die vorgezogenen Parlamentswahlen, standen vor dem Gebäude plötzlich vermummte Männer mit Abrisswägen, die das Flüchtlingszentrum plattmachten.
Ivan Lalic, Initiator des Miksaliste, ist schockiert. „Die haben unser Hilfszentrum einfach zerstört, um Platz für „Belgrad am Wasser” zu schaffen. Mit ihren Spezialrechten dürfen sie hier machen, was sie wollen.“ Von dem geplanten Abriss hätte er wenige Stunden zuvor erfahren. Andere Besitzer, deren Gebäude auch abgerissen wurden, seien komplett überrumpelt worden.
Die herbeigerufene Polizei kam nicht. Die Stadt Belgrad und das Innenministerium erklärten, sie wüssten von nichts. Auch in Belgrads Innenstadt, auf dem Baugrund für „Belgrad am Wasser”, werden Häuser niedergerissen. Von wem genau? Das wüssten zur Stunde wohl nur die Verantwortlichen selbst, sagt Aktivist Aksentijevic.
Die letzten Roma halten Stand
15 Minuten Fußweg von den frischen Bauruinen entfernt rattern Züge über die Gazelabrücke. Laut den Modellen von „Belgrad am Wasser” soll hier bald eine Fußgängerbrücke entstehen. In einer kleinen Hütte am Rand der Brücke lebt die 39-jährige Vesna Galasovic mit ihrem Mann Sufet Musinovic und fünf Kindern zwischen zehn und 14 Jahren. Sieben Menschen auf sieben Quadratmetern. Sufet Musinovic hat den Namen der Kinder auf den Arm tätowiert. Elvir, Julia, Kristijan, Juliano und Katherina. Den Namen seiner Frau Vesna hat er sich über die Brust stechen lassen. Der Strom für den kleinen Röhrenfernseher wird illegal gezapft. Die Heizung ist ein kleiner Ofen, in dem die Hausherrin Müll verbrennt.
Sie sagt: „Wir sind die letzte Familie, die noch hier ist. Die anderen sind längst verschwunden“. Vesna Galasovic ist die einzige in der Familie, die Sozialhilfe empfängt. Die rund 130 Euro reichen nicht, um sieben Münder zu stopfen. Etwas Geld kommt durch Müllsammeln und Gelegenheitsjobs dazu.
Einst stand hier eine Romasiedlung, aber der Staat hat die meisten anderen Familien woanders hingebracht. Vesna Galasovic und Sufet Musinovic wollen aber nicht weg. Ihre alten Nachbarn seien alle in andere Städte oder an die Peripherie gebracht worden. Vesna Galasovic schlägt die Hände über den Kopf zusammen und beginnt fast zu weinen: „Ich will hier nicht weg. In Belgrad muss es doch auch für uns einen Platz geben.“