Griechenland

Verbittert in Piräus

„Wir sind erschöpft, verzweifelt und zittern vor Kälte “, sagt Ragda, eine 23-jährige Irakerin. Seit mehr als zehn Tagen schläft sie mit ihren Eltern und den drei Geschwistern im Hafen von Piräus. Alle zusammen in zwei kleinen Zelten, die sie aus Idomeni mitgebracht haben. Dort warteten sie tagelang auf die Öffnung der Grenze.

„Wir haben es in Idomeni nicht mehr ausgehalten“, sagt die junge Frau. Also machte sie sich per Bus mit ihrer Familie auf den Weg zurück nach Piräus. Jetzt will sie an dem Umsiedlungsprogramm teilnehmen, das die Verteilung von Flüchtlingen in verschiedene EU-Länder vorsieht.

Doch mit jedem Tag wird ihr klarer, dass das nicht leicht wird. „Das Umsiedlungsprogramm ist quasi blockiert: Viele Flüchtlinge hätten wegen des akuten Personalmangels in den zuständigen Behörden nicht einmal Zugang zu dem Verfahren, erklärt eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation, die anonym bleiben möchte.

Bis jetzt sind die Ergebnisse dieses Programms sowieso mager. Seit November wurden weniger als 570 Personen in andere Mitgliedsstaaten gebracht, obwohl die EU versprochen hatte, bis 2017 insgesamt 66.400 Schutzsuchende aus Griechenland zu übernehmen. Bislang haben die EU-Staaten Griechenland nur 2.262 Plätze angeboten.

Selbst auf eine menschenwürdige Unterkunft kann Ragdas Familie nicht hoffen. Die meisten Plätze in Hotels und Apartments, die vom UN-Flüchtlingsrat für Umsiedlungsfälle vorgesehen waren, sind bereits besetzt.
Seit der plötzlichen Schließung des Balkankorridors sitzen mehr als 52.000 Flüchtlinge in Griechenland fest. Viele sind in provisorischen Massenlagern und Notunterkünften untergebracht – meist an abgelegen Orten, weit weg von den urbanen Zentren. Sie werden minimal mit Essen, einem Zelt, Toiletten und Duschen versorgt.

Wegen der untragbaren Lebensbedingungen verlassen viele Flüchtlinge die Einrichtungen und harren im Zeltlager von Idomeni oder am Hafen von Piräus aus, in der Hoffnung, weiter nach Deutschland oder Österreich zu kommen oder eine alternative Bleibe zu finden. Ιm Grenzort Idomeni warten mehr als 12.000 Schutzsuchende, obwohl seit dem umstrittenen EU-Abkommen mit der Türkei am Freitag klar ist, dass für sie dieser Weg geschlossen ist. Aus Protest gegen die geschlossenen Grenzen haben sich am Dienstag zwei junge Männer selbst angezündet. Sie konnten rechtzeitig gerettet werden. Im Hafen von Piräus befinden sich zurzeit mehr als 5.000 Flüchtlinge, die in Zelten oder in Wartehallen auf Decken übernachten.

Ein paar Kilometer weit weg von Piräus, in einer riesigen Zeltstadt bei einer ehemaligen Kaserne im Ort Schisto, ist die Stimmung trüb. Über die Nachrichten haben die Flüchtlinge von den Terroranschlägen in Brüssel erfahren. „Wir haben Angst, dass deswegen noch strengere Regeln gegen uns erlassen werden“, sagt ein junger Afghane besorgt. „Wir fliehen vor dem Krieg in unserer Heimat und begegnen ihm wieder hier in Europa.“
Anfangs war Schisto als Umsiedlungslager geplant. Doch sind fast alle Flüchtlinge, die hier untergebracht sind, Afghanen, die nicht am Umsiedlungsprogramm teilnehmen dürfen, weil sie keine Aussicht auf Asyl haben. Deren 30 Tage gültige Dokumente, die sie nach ihrer Ankunft in Griechenland bekommen hatten, laufen demnächst ab. Doch bis jetzt gibt es keine Lösung vom Staat.

Die Flüchtlinge in Schisto klagen während einer Demonstration, dass Regenwasser in die Zelte fließt, ihre Kinder frieren und ständig erkältet sind, und dass es an medizinischer Versorgung fehlt.
In der vorigen Woche haben die EU-Staaten einen Nothilfe-Plan zur Versorgung von Flüchtlingen in Griechenland aufgestellt und ein Hilfspaket von bis zu 700 Millionen Euro gebilligt, dass einen Zeitraum bis 2018 abdecken soll. Damit verhindert Europa lediglich eine Hungersnot und Obdachlosigkeit Tausender Kriegsflüchtlinge, eine Zukunft für sie schafft es damit aber nicht.
Im Hafen von Piräus bereitet sich Ragda und ihre Familie in ihren Zelten auf eine weitere kalte Nacht vor. Die Nachrichten über Brüssel, sowie die Details über das Abkommen mit der Türkei überfordern sie. „Keiner interessiert sich dafür, was mit uns passieren wird“, sagt sie verbittert.


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