Putins wichtigste Kriegsgefangene
Endlich ist dieser Schauprozess zu Ende. Nach 20 Monaten in russischer Haft wurde die ukrainische Kampfpilotin Nadeschda Sawtschenko zu 22 Jahren Strafkolonie verurteilt. Sie soll das Artilleriefeuer auf den Checkpoint gelenkt haben, an dem die russischen Journalisten Igor Korneljuk und Anton Woloschin am 17. Juni 2014 nahe Lugansk ums Leben gekommen sind. Außerdem muss sie 30.000 Rubel (etwa 400 Euro) Strafe zahlen, weil sie die russische Grenze illegal überquert habe, wie die russische Justiz behauptet.
Das Urteil kommt nicht überraschend. Es würde gegen alle Regeln der russischen Propaganda verstoßen, wenn Sawtschenko, die im Gerichtssaal regelmäßig die ukrainische Hymne singt und seit fast zwei Jahren vom russischen Fernsehen zur „Tötungsmaschine im Rock“ stilisiert wird, freigesprochen worden wäre. Die Anklage forderte 23 Jahre Haft. Doch ihre Argumente waren teilweise so absurd, dass auch bei manchem Kreml-treuen Beobachter Zweifel aufkommen konnten.
So wurde etwa behauptet, Sawtschenko sei aus der Gefangenschaft der Separatisten, in die sie am 17. Juni 2014 geriet und wovon Videoverhöre zeugen, einfach so freigelassen worden – und das in der heißesten Phase des Krieges. Danach soll sie in Militäruniform und ohne Papiere die russische Grenze passiert haben. Schließlich, vielleicht der unglaublichste Teil der Geschichte, habe ihr ein Fahrer, der sie im Auto mitgenommen hat, 15.000 Rubel (nach damaligem Kurs mehr als 300 Euro) geschenkt. Ein Detail, das erklären soll, wie sich Sawtschenko die nächsten Tage eins der teuersten Zimmer im Motel „Euro“ leisten konnte – wo sie sich laut Anklage freiwillig aufhielt. Die Version der Verteidigung lautet anders: Die Separatisten haben Sawtschenko an den FSB übergeben, sie wurde nach Russland verschleppt.
Ein politischer Prozess
Die Beweise der Verteidigung, wie die Auswertung der Mobilfunkdaten, die dokumentiert, dass Sawtschenko zum Zeitpunkt des Artilleriebeschusses bereits in Gefangenschaft pro-russischer Separatisten war, wurden vom Gericht ignoriert. Zeugen wie der Separatist „Ilim“, der küzlich gegenüber dem russisch-lettischem Online-Medium „Meduza“ die Argumentation der Verteidigung bestätigte, indem er erklärte, er habe persönlich und vor dem Beschuss Sawtschenko in Gefangenschaft genommen, wurden vor Gericht nicht geladen. Es sind viele kleine Nuancen, die deutlich vor Augen führen, dass der Fall Sawtschenko eine Farce ist. Ein politischer Prozess mit dem Ziel, die Aggression gegen die Ukraine gegenüber der eigenen Bevölkerung zu legitimieren und Putin innenpolitisch zu stärken. Letzteres mag dem Kreml gelungen sein.
Doch gleichzeitig haben die unsaubere Arbeit der Ermittler und nicht zuletzt das Auftreten von Sawtschenko selbst dazu geführt, dass die internationale Gemeinschaft den Prozess mit besonderer Aufmerksamkeit begleitete. Die Kampfpilotin trat mehrmals in Hungerstreik, um gegen das Strafverfahren zu protestieren, und sie provozierte vor Gericht. Am Ende ihres Schlusswortes stieg sie auf einen Stuhl und zeigte den Mittelfinger. Auch jetzt will sie ihre Schuld nicht anerkennen, sondern droht, einen trockenen Hungerstreik zu beginnen, sobald das Urteil in Kraft tritt.
„Russland wird mich so oder so in die Ukraine zurückbringen müssen, tot oder lebendig“, sagt Sawtschenko. In der Ukraine ist sie bereits eine Ikone. Wenn sie vor dem Krieg als eine der wenigen Frauen in der Armee mit der Soldatin Jane (aus dem Film „Die Akte Jane“) verglichen wurde, so wird sie nun zur ukrainischen Jeanne d'Arc erklärt.
Prominente Unterstützung
Aber auch weltweit hat Sawtschenko Untersützung gefunden. Mehr als 50.000 Menschen haben die Petition „Free Nadia Savchenko!“ unterschrieben, unter anderem die Nobelpreisträger Swetlana Alexiewitsch, Tomas Venclova und Elfriede Jelinek. Die Bundesregierung und der US-Präsident Barack Obama forderten Sawtschenkos Freilassung.
Angesichts des internationalen Drucks bleibt sie für Putin weiterhin ein Problem. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es nach dem Urteil zu einem Gefangenenaustausch im Rahmen des Minsker Friedensplans kommen wird – Sawtschenko könnte gegen zwei russische Militärs getauscht werden, die bald in der Ukraine vor Gericht kommen sollen. Das würde der ganzen Welt noch einmal vor Augen führen, wer die wahren Konfliktparteien im Ostukraine-Krieg sind. Aber auch schon jetzt verdeutlicht der Schauprozess gegen Nadeschda Sawtschenko diese Tatsache auf eine eindrucksvolle Art und Weise.