Die Baustelle von Debalzewe
Am Ende blieb vom Haus ein Loch. Dort, wo früher das Wohnzimmer war, grub sich eine Granate in den Boden. „Da war die Küche“, sagt Alexander Lysak, und weist auf eine zertrümmerte Ziegelwand. Ein verkohlter Boiler, verrostete Rohre.
Eine Wohngegend in der Stadt Debalzewe: Kleine Häuser reihen sich aneinander, ohne Dächer und mit gähnenden Einschusslöchern. Die bunten Zäune sind von Granatsplittern durchlöchert. Es war auch ein Splitter, der Alexanders Kopf traf und ihn mit seinen erst 26 Jahren zum Invaliden machte. Er hat trotzdem einen Neuanfang gewagt: Nur wenige Meter von seinem alten Zuhause entfernt ist er mit Frau und Kind in ein neues Haus eingezogen. Zur Schlüsselübergabe kam sogar der Anführer der Separatistenrepublik, Alexander Sachartschenko. Eine Stunde lang hätten sie im Haus gemeinsam Tee getrunken, erzählt Alexander stolz.
Debalzewe war vor einem Jahr Schauplatz einer der erbittertsten Kämpfe zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischer Armee. Die Stadt, ein Eisenbahnknotenpunkt an der Grenze des Donezker und Luhansker Gebietes, wurde regelrecht ausgebombt, zwei Tage nach der vereinbarten Waffenruhe von Minsk wurde sie am 17. Februar von den Separatisten eingenommen. In einem Propagandafilm der Separatisten wurden die Ereignisse zum „Marsch des Sieges“ hochstilisiert. Doch Debalzewe ist auch heute noch eine Trophäe in Trümmern.
Prestigeprojekt der Stadtverwaltung
Wenn es nach Sergej Leonidowitsch geht, soll sich das jetzt allerdings ändern. Der gedrungene 53-Jährige ist bei der Stadtverwaltung für den Wiederaufbau zuständig. Er rattert die Zahlen herunter: 199 kommunale Wohnblöcke und 1.160 Privathäuser sind infolge des Krieges unbewohnbar geworden, insgesamt 80 Prozent der Wohnfläche. Unter dem Artilleriedonner zerbarsten Dächer, Wände, Fensterscheiben. 46 der kommunalen Wohnhäuser wurden bis dato wieder aufgebaut, 81 weitere sollen bis zum Sommer folgen. Ein Aufbauprogramm gibt es auch für die vielen Eigenheimbesitzer, wie auch den oben genannten Familienvater Alexander.
Tatsächlich bemüht sich die Verwaltung um Aufbruchstimmung. In einem Randbezirk liegt das Prestigeprojekt der Stadtverwaltung: In einer sowjetischen Bauruine sollen 40 neue Wohnungen entstehen. Die Eröffnung steht kurz bevor, überall wird gehämmert und gebohrt. „Wir haben auch Hilfe von internationalen Hilfsorganisationen bekommen, wie dem Roten Kreuz“, erzählt Sergej. „Aber alles, was Sie hier sehen, kommt aus Russland.“
Überhaupt ist die selbstproklamierte „Donezker Volksrepublik“ beim Wiederaufbau fast ausschließlich auf Hilfe aus Russland angewiesen, wie zuletzt auch der stellvertretende Bauminister der Separatistenrepublik in einem Interview einräumte. Während in den zerstörten Dörfern der Wiederaufbau aber noch gar nicht begonnen hat, wollen die Separatisten in Debalzewe ein Exempel statuieren: Immerhin sei Debalzewe „die Lokomotive des Donbass“, sagt Sergej.
Dass es vor allem die Separatisten mit maßgeblicher russischer Unterstützung waren, die Debalzewe bei ihrer Offensive in Schutt und Asche legten, hört man hier allerdings nicht gern. Stattdessen beruft man sich lieber auf den ehemals sowjetischen Glanz, der mit der Unabhängigkeit der Ukraine unter Kiewer Führung verblasst sei. „Das war hier einer der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte der Sowjetunion“, sagt Alexander, der junge Familienvater. „Wie konnte das nur unter Kiewer Führung so verfallen?“
Hort komfortablen Lebens
Das sieht Alexander Reingold ähnlich. Der Bürgermeister von Debalzewe sitzt in seinem Kabinett, flankiert von Porträts des Separatistenführers Alexander Sachartschenko und des russischen Präsidenten Wladimir Putin. „In 25 Jahren hat sich die Ukraine nicht um Debalzewe gekümmert.“ Jetzt werde sich Debalzewe jedoch zu einem „Hort des komfortablen Lebens wandeln.“ 17.000 der ehemals 25.000 Einwohner seien wieder zurückgekehrt. Überprüfen lässt sich das nicht. Doch eines ist klar: Mit jedem wiederaufgebauten Haus wird der Machtanspruch der Separatisten über das Gebiet weiter einzementiert.
Von Normalität ist Debalzewe trotzdem noch weit entfernt. Die Menschen sind auf Lebensmittelkarten angewiesen, die Hälfte der Bewohner sind Rentner. Arbeit gibt es nur bei der Eisenbahn, eine Fabrik für Maschinenbau steht still. Und immer wieder trägt der Wind Geschützdonner aus nördlicher Richtung in die Stadt, die Front ist hier nur sieben Kilometer entfernt. Und geschossen wird fast täglich.
In einem Buchladen im Zentrum können Magnete mit der Aufschrift „Debalzewe – Donezker Volksrepublik“ erworben werden. Ein Verkaufsschlager, doch die Stimmung sei längst nicht so eindeutig, sagt die Verkäuferin Tanja Iwanowna. „Der eine ist enttäuscht, der andere hofft, dass doch noch alles besser wird“, sagt sie. „Ich gehöre zu den Zweiten.“
Wenige Meter weiter haben die Separatisten einen Quader aufgestellt. „Im ewigen Gedenken an die Brüder und Schwestern, die in den Jahren 2014 und 2015 ihr Leben ließen, um Debalzewe von den ukrainischen Strafkommandos zu befreien“, ist dort eingraviert. Zumindest hier scheint die Interpretation der tragischen Stadtgeschichte schon jetzt in Stein gemeißelt zu sein.
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Quellen:
Besuch von Debalzewe im Februar 2016
Persönliche Gespräche
Film der Separatisten „Marsch des Sieges“
Interview stellvertretender Bauminister der „DNR“