Polen

Schichtwechsel auf der Danziger Werft

Danzig (n-ost). Mit einer Untergrund-Galerie in einem Studentenwohnheim fing es an. Dann lungerte er zwischen den Ruinen der Danziger Speicherinsel herum und gründete dort 1985 die Freiluft-Galerie „Wyspa“ (Insel). Grzegorz Klaman war zu kommunistischen Zeiten das „Entfant terrible“ der polnischen Kunstszene. Und das ist er, obwohl inzwischen Professor an der Danziger Akademie der visuellen Künste, bis heute geblieben. Ein Freigeist, der für Kollegen, Katholiken und Kommunisten gleichermaßen schwer zu ertragen ist. Im Jahre 2002 nach einer Installation mit dem Kreuz Christi haben sie seine Galerie aus der Danziger Innenstadt vertrieben. Jetzt arbeiten Klaman und seine Studenten hinter Gittern und Mauern und fühlen sich dort frei wie nie. Es sind besondere Gitter und Mauern. Auf ihnen hat sich Weltgeschichte abgelagert, bunte Anweisungen des Werkschutzes und verblassende Inschriften mit kämpferischen Parolen: „Die Werft war, ist und wird immer sein.“

Nein, nichts wird mehr sein. Außer den Denkmälern für die Toten der Streikbewegung, dem Souvenirshop mit den Solidarnosc-Buttons und einem Museum, das den „Weg zur Freiheit“ ohne Happy-End nacherzählen muss. Das kommunistische Osteuropa haben sie aus den Angeln gehoben. Doch gegen den Kapitalismus scheint kein Kraut gewachsen. Die Kräne der Danziger Werft ragen wie riesige, tote Spinnenbeine in den blankgeputzten April-Himmel. Nach zahllosen Pleiten und ebenso zahlreichen Rettungsversuchen sind hier angeblich noch 2000 bis 3000 Menschen in Lohn und Brot. Doch zu sehen sind nur ein paar Wachmänner.
Die werfteigene S-Bahn-Haltestelle „Gdansk-Stocznia“ ist ein toter Bahnhof. 20 000 Arbeiter wurden hier früher schichtweise durchgeschleust. Halb Danzig lebte von der Werft. 1980 noch war das so, als der Elektriker Lech Walesa über den Zaun kletterte, zum Streikführer aufstieg und auf dem Werftgelände einen Vertrag aushandelte, in dem die Gewerkschaft Solidarnosc als erste Opposition in einem Warschauer Pakt-Staat anerkannt wurde. Wer heute, wenige Tage vor dem einst so erträumten EU-Beitritt Polens über den Zaun klettert, sieht nur eine riesige Industriebrache, rostige Eisenbahngleise, ergraute Backsteine, wucherndes Unkraut – und einen Haufen verrückter Künstler.

„Wrumm, Pläng, Wrumm.“ Aus den Boxen plärrt eine Kakophonie, die an Einstürzende Neubauten und zersägte Stahlkörper erinnert. Wir befinden uns im Modelaria. Früher wurden hier Schiffsmodelle entworfen. Nun steht dort Monika Pudlis und schmiert sich ein Gemisch aus Papier, Metallteilen und Gips fein säuberlich in die Haare. Die junge Klaman-Schülerin liefert an diesem Abend eine Werkschau mit Skulpturen, Installationen, Video-Animationen und Performance. Man ist sich beim Betrachten der Gegenstände unschlüssig: Was ist hier Kunst und was ist Produkt des Werft-Zerfalls? Zum Beispiel dieser hölzerne Kasten für alte Werksausweise. Erst bei näherem Hinsehen wird klar, alle Ausweise zeigen die selbe Person: Monika Pudlis. „Ich verwende diesen Ort so viel ich kann“, erklärt die Künstlerin. „Es ist ein sehr kreativer Platz und ich kann mich hier finden.“ Vor fast zwei Jahren ist sie als erste Künstlerin auf das Werftgelände gezogen, und obwohl es im Winter kalt ist, will sie bleiben, so lange es geht. „Ich hoffe, es ist der Anfang einer großen Sache.“
Was 2002 halb anarchisch begann, wird von den neuen Eigentümern der Werft mit wachsender Begeisterung gefördert. Etwa die Hälfte des Geländes hat die amerikanische Gesellschaft „Synergia 99“ aufgekauft. Wohnen am Wasser heißt ihr Credo. Ein neuer Stadtteil könnte in den nächsten zehn Jahren entstehen, die Pläne werden gerade ausgearbeitet. Und die Künstler sollen mit ihrer Kreativität den Standort aufwerten.
30 sind es bereits, die ständig auf dem Werftgelände wohnen. Hinter den Werkstoren haben sie eine „Kolonia Artystow“ gegründet, die jeden Freitag und Samstag mit Theater-Aufführungen, Vernissagen und Konzerten die jungen Kreativen aus ganz Polen anlockt. Werbeplakate gibt es nicht. Alles läuft übers Internet. Und nur, wer sich vorher anmeldet und seinen Namen dann auf der Liste des Werkschutzes wiederfindet, wird aufs Werftgelände durchgelassen. Das erhöht den Reiz. Und der Andrang ist groß, denn jeder Abend findet in wechselnden Kulissen statt. Fotos, Skulpturen, Video-Kunst, Graffiti – was in den Ateliers gerade fertig wird, findet Verwendung. Das meiste ist unverkennbar von derPop-Art inspiriert.
„Hier ist der erste Platz in Polen. Zu uns kommen die Leute aus Warschau und Krakau“, erzählt Sylwester Galuszka, der als Computer-Künstler für die Web-Seite der Kolonie zuständig ist. Gerade hat er die Anfrage einer Band aus Moskau bekommen, die unbedingt in der Werft spielen möchte. Ob der EU-Beitritt der polnischen Kunstszene auch im Westen zu Anerkennung verhelfen könne? Galuszka muss nicht lange nachdenken. Gerade hat er mit der jungen Danziger Künstlerin Anna Reinert eine Vernissage in Frankfurt organisiert. „Die Besucher waren begeistert, aber wir hatten große Probleme, die Kisten überhaupt über die Grenze zu schaffen. Zwei Mal haben sie mich zurück geschickt, weil ich nicht die richtigen Papiere hatte.“ Allein deswegen lohne sich schon der EU-Beitritt.
Grzegorz Klaman ist da skeptischer. „Die Polen sind dumm wenn es um Marketing geht. Der Markt müsste viel offener sein. Besonders kritische, radikale Künstler haben es schwer, akzeptiert zu werden.“ Die Werft aber, die sei in der ganzen Welt bekannt, und die Chance müsse man nutzen.
Klaman gehörte in den 80er Jahren zur Opposition: „Die politische Kunst, auch das begann hier in Danzig.“ Von der konservativ-klerikalen Solidarnosc-Bewegung sei diese Künstlerszene aber nie akzeptiert worden. „Walesa hasst zeitgenössische Kunst.“ Dass ausgerechnet er eine Zuflucht auf dem alten Werftgelände fand und sogar das Solidarnosc-Museum mit seinen Skulpturen bereichern durfte – nun, zumindest für Klaman und seine Künstlerkollegen hat sich die Geschichte zu einem kleinen Happy-End aufraffen können.

Ende

Für Infokasten:

Die Kolonia Artystow ist im Internet unter www.kolonia-artystow.prv.pl zu finden. Grzegorz Klaman und die Galerie „Wyspa“ sind unter grzegorz.klaman@wp.pl erreichbar. Im Sommer 2004 soll auf dem Werftgelände in Erinnerung an den Beginn der Solidarnosc-Bewegung vor 24 Jahren das große Künstlerfestival „Yard24“ stattfinden. Auch deutsche Institutionen sind daran beteiligt. Im Kuratorium sitzen unter anderen Wolfgang Thierse und Gesine Schwan. Informationen dazu unter www.yard24.org.




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