Ukraine

Konterrevolution der Oligarchen?

Eine Gedenkminute an die Opfer des Maidan unterbrach am vergangenen Donnerstag die Sitzung im ukrainischen Parlament. Genau zwei Jahre, nachdem es am Maidan die meisten Toten gab, trugen die Abgeordneten aber auch die sogenannte „Europäische Koalition“ zu Grabe. Mit dem Austritt der Partei „Vaterland“ von Julia Timoschenko als auch der Partei „Samopomitsch“ verlor die Regierungskoalition ihre Mehrheit im Parlament.

Hinter der Ukraine liegt eine der innenpolitisch turbulentesten Wochen seit der Maidan-Revolution. Der reformfreudige Wirtschaftsminister Aiwaras Abromawicius hat Anfang des Monats das Handtuch geworfen. Er bezichtigte dabei die politische Führung der Korruption. Dass Premier Arseni Jazeniuk über ein Misstrauensvotum stürzt, war am Dienstag nur noch als Formalie gesehen worden. Jedoch verließen im letzten Moment einige Abgeordnete den Saal, die zuvor die Regierungsarbeit in einer Abstimmung noch als „mangelhaft“ bewertet hatten. Das Misstrauensvotum fiel durch, Jazenjuk bleibt.


Verschwörung der Oligarchen?

Wie kam es dazu? Durch „eine Verschwörung der Oligarchen“, vermuten die einen, wie etwa der Maidan-Aktivist Mustafa Najem, der für den Block Petro Poroschenko im Parlament sitzt. So hatten vor allem Abgeordnete, die dem Einfluss von Oligarchen zugerechnet werden, den Saal verlassen. Poroschenkos Rolle gilt als umstritten: Wenige Stunden zuvor hatte er Jazenjuks Rücktritt gefordert. Selbst seine eigene Fraktion folgte diesem Aufruf jedoch nicht geschlossen: Mehr als 20 anwesende Abgeordnete des Blocks verweigerten die Abstimmung.

Der Sturk Jazenjuks hätte im Westen Ängste genährt, dass die Ukraine im völligen innenpolitischen Chaos versinkt, meinen hingegen andere. „Die westlichen Partner hatten zwei Nachrichten für Poroschenko“, schreibt Adrian Karatnycky von der US-amerikanischen Organisation Atlantic Council, „mehr Reformer in das Kabinett bringen, und einen Kollaps der Regierung und Neuwahlen zu vermeiden.“ Demnächst stehen neue Zahlungen des Internationalen Währungsfonds an. „Der Westen weiß, dass eine Periode von politischer Unsicherheit die westliche Unterstützung für die Verlängerung der Sanktionen gegen Russland aushöhlen kann.“

Mit der Stabilität ist es aber vorerst sowieso vorbei. Das Ende der Koalition wurde am Freitag offiziell verkündet. Als Königsmacher präsentiert sich der Rechtspopulist Oleh Ljaschko von der „Radikalen Partei“. Ljaschko ist mit seiner Partei im Herbst aus der Koalition ausgetreten, signalisierte in der aktuellen Krise aber Bereitschaft, eine neue Koalition mit dem Block Petro Poroschenko und Jazenjuks „Volksfront“ zu stützen. Der „Polit-Clown“ Ljaschko gilt aber als unzuverlässig. „Mit ihm wird es wohl keine stabile und langlebige Koalition geben“, sagt der Politik-Analyst Wladimir Fesenko.


Jazenjuk ist der kleinste gemeinsame Nenner

Aber auch die Fraktion „Block Petro Poroschenko“ selbst ist sichtlich gespalten – immerhin hatte eine Mehrheit dieser Fraktion für einen Abgang Jazenjuks gestimmt. Auch Fraktionsführer Juri Luzenko gab sich zuletzt unversöhnlich: Jazenjuk habe drei Wochen Zeit, das Kabinett umzuformen, oder „wir werden noch einmal das Misstrauen aussprechen.“ Wie das gehen soll, ließ Luzenko allerdings offen. Nach dem ukrainischen Reglement darf die Vertrauensfrage nur einmal pro Sitzungsperiode gestellt werden, die aktuelle Periode endet im Juli. „Das sieht nach einer langen Regierungskrise aus“, kommentiert Ukraine-Experte Anders Aslund, das sei ein „Phyrrus-Sieg“ für die herrschenden Kräfte.

Aber wer hat sich im Parlament durchgesetzt? Der ukrainische Journalist Maxim Eristavi schreibt von einer Konterrevolution, von Hinterzimmerdeals der „oligarchischen Eliten, die ihren letzten und größten Triumph gegen die Reformkräfte seit 2013 feiern konnten.“ Die Rede von einem „Oligarchenputsch“ hält Politanalyst Fesenko indes für völlig überzogen, immerhin hätten die Oligarchen Jazenjuk schon immer unterstützt, wie auch der IWF und die westlichen Botschafter Jazenjuk für die „relative politische Stabilität schätzten.“

Das gescheiterte Misstrauensvotum sei genau Ausdruck dessen – Jazenjuk als kleinster gemeinsamer Nenner zwischen den ukrainischen Oligarchen und dem Westen. „Das Problem ist nur, dass Jazejuk selbst schon zu einem Faktor der Destabilisierung geworden“, sagt Fesenko. Schon vor dem Misstrauensvotum waren Jazenjuks Popularitätswerte unter einen Prozent gesunken. Einen Ausweg könnte eine völlige Kabinettsumbildung bringen, mit mehr Reformern und Technokraten. Es bleiben 30 Tage Zeit, um eine neue Koalition zu bilden.


Quellen:

Besuche in der Werchowna Rada

http://www.atlanticcouncil.org/blogs/new-atlanticist/a-pyrrhic-victory-for-president-poroshenko

http://foreignpolicy.com/2016/02/17/now-we-know-who-really-runs-ukraine/

http://www.politico.eu/article/ukraine-heads-into-the-abyss-petro-poroshenko-arseniy-yatsenyuk/


Weitere Artikel