Bulgarien

Frustration über Brüssel

Als Bulgarien und Rumänien 2007 der Europäischen Union beitraten, hatten sie deutliche Defizite im Bereich Justiz und Inneres. Um den Reformprozess zu unterstützten, schickt die Europäische Kommission deshalb jedes Jahr sogenannte Fortschrittsberichte an die jeweiligen Regierungen.

Zu Beginn bekam man in Sofia vor jeder Veröffentlichung Gänsehaut. Schon 2008 strafte die Kommission Bulgarien ab, weil der Chef des bulgarischen Infrastrukturfonds Vesselin Georgiev angeblich öffentliche Aufträge unter der Hand an seinen Bruder vergeben hatte. Brüssel fror EU-Strukturhilfen in Höhe von 165 Millionen Euro ein. Im darauffolgenden Jahr wurde ein Prozess gegen Georgiev eingeleitet, beim Regierungswechsel bekam der reformorientierte heutige Präsident Rossen Plevneliev einen Ministerposten. Brüssel zahlte nach.


Resignation über Brüssel

Doch langfristig bewirkten die Mahnungen wenig. Neun Jahre nach dem EU-Beitritt ist Bulgarien Transparency International zufolge das korrupteste Mitglied in der EU. Vetternwirtschaft und eine schlecht funktionierende Verwaltung drosseln dringende Investitionen in Bulgarien, das gleichzeitig auch das ärmste Land der Union ist.

In den vergangenen Jahren machte sich Resignation breit. Verfahren wie das gegen Vesselin Georgiev ziehen sich Jahre hin und enden meist mit einem Freispruch. Dass die Behörden ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, wirksame Untersuchungen durchzuführen, zeigen auch die häufigen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Bulgarien.

Doch in diesem Jahr gab es empörte Reaktionen auf den Bericht aus Brüssel, den die Kommission Ende Januar veröffentlichte. Wie immer bemängelt die EU-Kommission darin Probleme in der bulgarischen Justiz wie etwa undurchsichtige Verfahren bei der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten. Und wie immer fordert sie die bulgarische Regierung auf, konkrete Ergebnisse zu liefern, vor allem bei der schon 2015 auf den Weg gebrachten Justizreform.


Nachteile auch für die EU selbst

Beobachter wie der Journalist Jassen Bojadjiev fragen sich nun, warum Brüssel nicht härter Reformen einfordert – ähnlich wie von Polen, dem wegen seines umstrittenen Mediengesetzes jetzt sogar der Entzug des Stimmrechts droht. Nicht allein Bulgarien wäre somit mehr geholfen, meint er. „Die Erosion der Staatlichkeit in Bulgarien verstärkt die Erosion der europäischen Werte in der EU und macht aus einem Grenzstaat einen unsicheren Raum für die Wirtschaft, Sicherheit und die Menschenrechte.“

Mit dem Nachbarland Rumänien, das nun große Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung macht, ging Brüssel 2012 weniger zimperlich um: Damals setzte Premier Victor Ponta im Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen seinen Erzfeind, den Präsidenten Traian Basescu, durch. Die EU-Kommission vermutete damals, dass die Regierung damit die Justiz des Landes unter Kontrolle bekommen wollte.


Nichts als Scheinreformen

Dabei gibt es auch in Bulgarien gute Gründe für ein härteres Vorgehen. Das Land wird derzeit wieder einmal von schweren Justizskandalen erschüttert, in die Premier Bojko Borissov und Oberstaatsanwalt Sotir Zazarov verwickelt sind. Nur einen Monat vor der Veröffentlichung des Kommissionsberichts beschloss das Parlament eine Verfassungsänderung, die anders als vom Ministerium vorgeschlagen eine starke Machtkonzentration auf die Figur des Oberstaatsanwalts verhinderte. Damit erzwang das Parlament letztlich den Rücktritt des reformorientierten Justizministers Hristo Ivanov.

Die Scheinreformen in Bulgarien würden von Brüssel toleriert, kritisiert Borislav Mavrov, Programmleiter des unabhängigen Europäischen Instituts in Sofia. Entscheidend dabei seien übernationale parteiliche Loyalitäten.

Ähnlich wie die ungarische Regierung Viktor Orbans genieße die konservative Führung Bojko Borissovs die Unterstützung seiner europäischen Parteifreunde: Borissovs Partei GERB gehört im Europäischen Parlament der EVP-Fraktion an. Er bekommt offenen Rückhalt von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, David Cameron und Viktor Orban. Gerade die restriktive Flüchtlingspolitik Bulgariens findet unter den Konservativen großes Lob.

Kalkül sei wichtiger als Ideologie, kommentiert dazu Ulrike Lunacek, grüne EU-Abgeordnete gegenüber der österreichischen „Presse“. „Das Ziel sind eindeutige Mehrheiten. Das schafft man nur mit erfolgreichen Schwesternparteien“.


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