Mini-Ikonen zum doppelten Preis
Moskau (n-ost) Russische Reiseveranstalter sind zufrieden: der Tourismus boomt. Im vergangenen Jahr kamen Millionen ausländische Touristen ins Land, allein Silvester kamen rund 350.000 Besucher, um Kreml, Eremitage oder die historischen Städte entlang des Goldenen Ringes zu bestaunen. Das Frühjahr – beste Zeit für Veranstalter der Städtetouren - soll bisherige Besucherrekorde erneut brechen.
Touristen, die oft nur wenige Brocken Russisch stammeln und oft mühelos allein an ihrer Kleidung erkennbar sind, sind aber auch eine Goldgrube für Trickbetrüger und Wucherer. Gemeint sind nicht nur Taschendiebe. Denn wie zu besten Sowjetzeiten gelten für die fremden Gäste häufig andere Gesetze, sprich: andere Preiskategorien.
Der erste Preisschock setzt oft kurz nach der Landung am Moskauer internationalen Flughafen Scheremetjewo-2 ein: Nicht selten endet das wilde Gestikulieren mit einer Schar von Taxi-Fahrern bei 50 US-Dollar – für Russen. Wer vergessen hat, seine Vokabeln artig zu pauken, kann für die 30 Kilometer lange Fahrt ins Zentrum schon mal mit bis zu 100 Dollar geködert werden. Zahlbar in Rubel oder Valuta. Hinzu kommen noch 20 Dollar für den vermeintlich kostenlosen Kofferkuli am Gepäckband, dessen „Pächter“ sich urplötzlich einfindet und lautstark grüne Scheine einfordert. Beschweren gilt nicht, flugs sieht sich der Reisende von einer Traube stiernackiger „Kollegen“ umringt. Überhaupt gelten für Ausländer in Russland andere Spielregeln: Je schlechter die Sprachkenntnisse, desto teuer wird der Aufenthalt.
Die Zwei-Klassen-Preisfalle schnappt jedoch nicht nur an Flughäfen oder Bahnhöfen zu. So kostet das Anmieten einer Sauna in der historischen Provinzstadt Kostroma, knapp 400 Kilometer nordöstlich von Moskau, zehn Dollar pro Stunde – für Ausländer hingegen wird die Preisspirale auf das Vierfache hochgeschraubt.
Auch bei Mitbringseln gilt eine eigene Preisdynamik: Im Heimatmuseum Dudinka wollte die Souvenir-Verkäuferin japanischen Touristen das Doppelte für Miniatur-Ikonen berechnen. Das hat Fulvio Begano, Australier mit italienischen Wurzeln und Organisator von Touren nach Russland, auf die Palme gebracht: "Ich erlebe das überall, in St. Petersburg oder hier im Norden. Von Ausländern wird immer gedacht, sie seien zum Schröpfen da."
Florence Grandon, eine französische Journalistin, die einige Monate in St. Petersburg gearbeitet hat, kennt diese Erfahrung: „Mit dem Reisebus hat man uns nach Twer gefahren, plötzlich mussten alle Ausländer noch einen Aufschlag zahlen, angeblich für die Registrierung – aber die mitreisenden Russen im Bus wurden doch auch ohne Aufschlag registriert“, klagt die junge Frau.
Nicht nur private Wucherer wie Fremdenführer, Hoteliers oder Taxifahrer profitieren jedoch von den reiselustigen Weltenbummlern. Auch der Staat mischt eifrig mit im ungleichen Preisgeflecht: So gelten in vielen Museen zwei Kategorien – je nach Reisepass. Sparen kann nur, wer die ostslawische Sprache akzentfrei spricht und an der Kasse überzeugt.
Wiederholt haben ausländische Besucher des Moskauer Kreml berichtet, dass es just dann keine Eintrittskarten mehr gegeben habe, als sie an der Reihe waren. Nur in Verbindung mit einer „obligatorischen“ Führung für Ausländer könnten sie heute noch Einlass in die hauptstädtische Sehenswürdigkeit bekommen, so die Antwort.
Unmut unter Touristen herrscht auch häufig in der St. Petersburger Eremitage: Im Vorjahr mussten Ausländer 320 Rubel berappen, Russen hingegen nur 15 Rubel. Mit Jahresbeginn wurde die Preisschere nun ein wenig geschlossen: Wer einen inländischen Pass hat, zahlt nun 100 Rubel, wer nicht – 350 Rubel.
Die Meinungen ausländischer Touristen klaffen auseinander: „Wir verdienen doch auch bedeutend mehr als die Einheimischen. Warum sollen wir dann auch nicht mehr bezahlen?“, fragt Günther Willeke, Frührentner aus dem sächsischen Schkeuditz, der Russland bereits mehrfach bereist hat. Jens Prautzsch, der in St. Petersburg war, sieht dies anders: „Wir bringen doch Geld ins Land, gehen in Cafés und buchen touristische Touren. Dass wir in der Eremitage zwanzig Mal mehr zahlen oder auf dem Luftkissenboot nach Peterhof, ist mir einfach schleierhaft“, sagt Prautzsch, der im sachsen-anhaltinischen Halle einen Nachtklub betreibt.
Ob freiwillig oder unfreiwillig – Spitzenreiter beim Geldausgeben sind japanische Touristen, wie die kommerzielle Vereinigung „Business Travel International“ nun in einer aktuellen Studie ermittelt hat: Eine Woche in Russland lassen sich die Gäste aus Asien durchschnittlich 1 500 US-Dollar kosten, davon gehen allein 600 Dollar für Matrjoschka-Steckpuppen, Lenin-Büsten und kitschige Lackschatullen drauf. Amerikaner liegen mit 1 200 Dollar wöchentlich auf Platz zwei, gefolgt von den Deutschen, die immerhin 900 Dollar für Souvenirs, Eintrittsgelder und Unterkunft berappen. Im Gegensatz dazu fallen die Reisebudgets von kanadischen und chinesischen Touristen ein wenig schmaler aus: Pro Woche Russland-Aufenthalt kommen sie mit einem von 200 bis 400 Dollar aus – welchen Preis sie wofür zahlen, hat die Studie jedoch nicht untersucht.
Ende
Veronika Wengert