Polen

Hemmungslos regierungstreu

Jaroslaw Kaczynski dürfte überrascht gewesen sein angesichts der vielen Demonstranten, die am vergangenen Wochenende auf die Straßen gingen. In Warschau protestierten 50.000 Polen gegen die nationalkonservative Regierung. Sie trugen stolz sowohl die polnische als auch die von der Regierung abgeschaffte EU-Flagge vor sich her. Auf vielen Transparenten stand: „Auch ich gehöre zur schlechtesten Sorte von Polen.“

Die Demonstranten bezogen sich dabei auf ein Zitat Kaczynskis, es sei unpatriotisch, im Ausland schlecht über Polen zu sprechen. Solche Menschen hält der Vorsitzende der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) für „die schlechteste Sorte von Polen“. Die Äußerung war ein Versuch, die Gesellschaft wieder tief zu spalten in die „wahren Polen“, die die Regierung unterstützen, und den „unpatriotischen“ Rest. Diese Spaltung der Gesellschaft hat Kaczynskis Vorbild Viktor Orban in Ungarn bereits sehr erfolgreich betrieben. Und bislang scheint es so, als würde diese Spaltung auch Kaczynski gelingen. Die Demonstranten in Warschau kanzelte er mit den Worten ab, sie „könnten nicht klar denken“.


Inszenierung des Konflikts

Es ist paradox: In Polen besitzt ein Mann die ganze Macht, der eigentlich nur ein Parlamentsabgeordneter ist. Jaroslaw Kaczynski kontrolliert sowohl Premierministerin Beata Szydlo als auch den Präsidenten Andrzej Duda. Nach den Parlamentswahlen Ende Oktober hatte Szydlo so gut wie keinen Einfluss darauf, mit wem sie zusammenarbeiten würde. Sie durfte sich nur die Bildungsministerin und die Pressesprecherin aussuchen.

Alle anderen Mitglieder der Regierung bestimmte Kaczynski selbst. Er setzt auch die Agenda der polnischen Politik, Szydlo bleibt nichts anderes übrig, als diese zu erfüllen. Selbst Präsident Andrzej Duda, der im Sommer zum Präsidenten gewählt wurde, wagt nicht, dem Vorsitzenden der PiS-Partei zu widersprechen - und das, obwohl er seit seiner Vereidigung eigentlich sogar parteilos ist.

Kaczynski hat mehrere Male angedeutet, dass er am liebsten die ganze Verfassung ändern würde, um seine Macht auszubauen. Doch weil seine Mehrheit bei den Wahlen ihm dies nicht ermöglicht hat, versucht er nun das Verfassungsgericht unter seine Kontrolle zu bekommen oder es zumindest abzuwerten. Seine Versuche, sie durch Regierungstreue zu ersetzen, begründet er mit dem Argument, die derzeitigen Richter würden den alten postkommunistischen Eliten angehören.


Journalisten als „Propagandisten“

Wie bei Viktor Orban ist die Inszenierung des Konflikts ein wichtiger Bestandteil der PiS-Politik. Laut Kaczynski ist Polen ein von fremden Mächten umzingeltes Land, und der größte Feind ist dabei nach wie vor Deutschland. Kaczynski wies in einem Interview mit dem regierungsfreundlichen Fernsehsender „TV Republika“ EU-Parlamentspräsident Martin Schulz darauf hin, er dürfe Polen nicht kritisieren, weil er aus Deutschland komme – dem Land, das „seine Schulden aus dem Zweiten Weltkrieg noch nicht beglichen hat.“

Der Zuschaueranteil von „TV Republika“ liegt zwar nur bei 0,14 Prozent, er ist aber der Lieblingssender aller PiS-Anhänger. Mit kritischen Fragen müssen die Interviewgäste dort nicht rechnen. Im Gegenteil: Auch viele Journalisten und Medien sind hemmungslos regierungstreu, wie etwa die Zeitungen und Wochenmagazine „Gazeta Polska Codziennie“, „Wsieci“ oder „Do Rzeczy“. Einige Redakteure dieser Publikationen traten kurz vor den Wahlen sogar der PiS-Partei bei und wurden Abgeordnete im Sejm. Andere wiederum wurden Regierungsmitglieder. Die Linie zwischen dem, ob man noch Journalist oder schon Politiker ist, wird immer dünner.

Wenn einem PiS-Politiker eine kritische Frage nicht gefällt, scheut er nicht davor zurück, den Reporter einen „Propagandisten“ zu nennen. So ging es neulich einer Journalistin bei dem öffentlich-rechtlichen Sender TVPInfo, die Vizepremier und Kultusminister Piotr Glinski interviewte. Sie wollte wissen, warum Glinski die Premiere eines Theaterstücks als „pornografisch“ ansah und es absetzen wollte, obwohl er es noch nicht einmal selbst gesehen hatte.


Theaterproben auf Video

Der Minister beantwortete die Frage nicht und sagte in der Sendung, die Journalistin habe in der jüngsten Zeit Propaganda betrieben und damit sei nun Schluss – im Grunde deutete er damit an, dass sie ihren Job verlieren würde. Ihre zeitweilige Suspendierung ist zwar wieder rückgängig gemacht worden – doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis regierungstreue Journalisten alle öffentlich-rechtlichen Sender besetzen.

Die Regierenden geben zu, dass sie seit ein paar Wochen am Umbau der Medien arbeiten. Die PiS-Abgeordnete Barbara Bubula spricht von einer „Dekolonialisierung“ der Medien. Man müsse ihnen zurückgeben, was Polen in den vergangenen 25 Jahren genommen wurde. Kaczynskis Partei vertritt die Meinung, dass liberale, altkommunistische und korrupte Seilschaften Polen in den vergangenen Jahren kolonialisiert, also unterwandert haben.

Auch die Kultur ist von Versuchen einer Einführung der Zensur betroffen. Seit neuestem müssen die Intendanten von staatlichen Theatern die Proben ihrer Stücke auf Video mitschneiden und die Aufnahmen an das Kultusministerium schicken. Gefällt das Stück dem Ministerium nicht, wird es nicht aufgeführt.

Manche Intendanten sind bereits in Schwierigkeiten geraten. Der Regisseur Jan Klata am Alten Theater in Krakau beispielsweise führt nach Ansicht der PiS-Politiker „unsittliche“ Stücke auf und dürfte seinen Posten bald verlieren.


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