Bulgarien

Flüchtlinge meiden Bulgarien

Bulgarien erscheint dieser Tage als eine Insel der Seligen. Das Balkanland liegt – anders als seine Nachbarn – nicht auf der Flüchtlingsroute, über die täglich tausende Menschen aus dem arabischen Raum nach Westeuropa ziehen. Noch im November 2013 erschütterten Fernsehbilder von unmenschlichen Lebensbedingungen in Bulgariens überfüllten Flüchtlingslagern die europäische Öffentlichkeit, heute sind diese Lager lediglich zu einem Viertel belegt.

Rund 12.700 Menschen haben nach Angaben der bulgarischen Staatlichen Agentur für Flüchtlinge (DAB) in den ersten neun Monaten dieses Jahres in Bulgarien Asyl gesucht. So viele übertreten die kroatisch-slowenische Grenze derzeit binnen weniger Tage. Seit August 2015 ist die Belegungsrate bulgarischer Flüchtlingslager von 67 auf 27 Prozent zurückgegangen, rund 1.400 Migranten waren Ende Oktober 2015 dort untergebracht. Die meisten aus der Türkei nach Bulgarien gekommenen Flüchtlinge machen sich schnell weiter auf den Weg in Richtung Westeuropa und warten den Abschluss ihrer Anerkennungsverfahren gar nicht erst ab.


Ein Orden für den Grenzpolizisten

Obwohl die Bulgaren von der Flüchtlingskrise also vergleichsweise wenig betroffen sind, herrscht bei ihnen eine tendenziell fremdenfeindliche Stimmung. Sie findet auch Ausdruck im alarmistischen Ton bulgarischer Berichterstattung: „Bereitet Euch auf eine neue Epoche vor! 60 Millionen Flüchtlinge tragen sie auf ihren Schultern“, titelte kürzlich das Onlinemedium inews.bg. Und über 30.000 Menschen forderten in einer vom Direktor des Nationalen Historischen Museums initiierten Petition, einen Grenzpolizisten für seinen Einsatz zum Schutz der Staatsgrenze mit einem Orden auszuzeichnen. Der Mann hatte vor zwei Wochen durch einen angeblichen Querschläger einen afghanischen Flüchtling erschossen.

„Bulgarien schützt seine Grenzen besser als das Schengen-Land Griechenland“, gibt Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov als Erklärung dafür an, warum die meisten Flüchtlinge sein Land meiden. Dennoch wird er nicht müde, von seinen Amtskollegen in der Europäischen Union zusätzliche finanzielle Hilfe für die Bewältigung der Flüchtlingskrise einzufordern. Bulgarien bewache nicht anders als Griechenland und Italien eine EU-Außengrenze und habe deshalb auch Unterstützung verdient, lautet sein wiederholt verkündetes Credo.

Was aber Borissov einen „effektiven Schutz der Landesgrenze“ nennt, kritisieren Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Pro Asyl als Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. In Serbien angelangte Afghanen klagten jüngst über Gewalt und Korruption an der bulgarischen Grenze. 


Bulgarien steht auf der Schwarzen Liste

Übergriffe bulgarischer Polizisten prangert auch Nils Muiznieks, Menschenrechtskommissar des Europarats in Straßburg, in seinem Bericht zu Bulgarien an. Migranten seien teilweise mit „exzessiver Anwendung von Zwang, Gewalt und/oder Misshandlung von bulgarischem auf türkisches Territorium zurückgedrängt worden“, heißt es in dem Bericht.

„Bulgarien steht auf Rang eins der Schwarzen Liste im Handbuch für Flüchtlinge“, sagt der an der Universität Sofia lehrende Arabist Vladimir Tschukov. Der Text wurde im syrischen Online-Medium Cham-Press veröffentlicht. Ein anonymer Autor, laut Tschukov ein Migrationsexperte, bewertet darin elf mögliche Transit- und Zielländer für Flüchtlinge nach einer Reihe von Kriterien – etwa der nationalen Wirtschaftskraft, den Beziehungen der Asyl-Behörden zu den Migranten und der Einstellung der Bevölkerung.

„Bulgarien wird dabei am schlechtesten bewertet“, sagt Professor Tschukov. Er hat die Warnungen und Empfehlungen des anonymen Migrationsexperten aus dem Arabischen ins Bulgarische übersetzt und auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Die Lebensbedingungen in bulgarischen Lagern seien unmenschlich, heißt es da etwa, und die Hilfeleistungen bescheiden. Wirtschaftlich starke Länder wie Deutschland, Norwegen und Schweden mit relativ toleranten und zügig arbeitenden Behörden seien als Zielorte für die Flüchtlinge unbedingt vorzuziehen.


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