Dramatische Lage auf der Balkanroute
Über dem slowenischen Ort Brezice steht noch immer eine leichte Rauchsäule. Es herrscht gedrückte Ruhe. In ihrer Verzweiflung hatten Flüchtlinge am Mittwoch im hiesigen Aufnahmelager fast 30 Zelte angezündet, sie sollen komplett verbrannt sein. Genau ist das nicht zu sehen, die Zufahrt ist versperrt.
Die Polizei löst das Lager auf. Nach dem Brand sei es nicht mehr nutzbar, heißt es. Die rund 2.000 Menschen werden seit Mittwoch vom Camp abtransportiert: Alle paar Minuten fährt ein Bus vor, Polizisten mit Helmen und Schutzwesten lassen je 50 bis 60 Flüchtlinge aus dem Lager. Einer hinter dem anderen laufen sie durch einen Korridor aus Metallgittern, begleitet von Polizisten. Die Männer, Frauen und Kinder, die sich gegen die aufziehende Kälte Decken umgehängt haben, machen einen verschüchterten Eindruck. Keiner spricht.
Seit der ungarischen Grenzschließung zu Kroatien vor wenigen Tagen stauen sich die Flüchtlinge auf der Balkanroute. Aufhalten lassen sie sich nicht. „Selbst hochschwangere Frauen wollen keinen Tag ausruhen“, sagt Mirjana Milenkovski vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
Vor dem Camp Brezice stehen drei Schützenpanzer der slowenischen Armee sowie mehrere Jeeps, davor Soldaten im Kampfanzug. Über dem Ort kreist ein Hubschrauber der Armee. Anfang der Woche hatte das slowenische Parlament dem Einsatz des Militärs zugestimmt, das nun die Lage an der fast 700 Kilometer langen Grenze unter Kontrolle bringen soll. Sofort nach dem Beschluss ließ Slowenien seine Armee mit Schützenpanzern vor den Flüchtlingslagern aufmarschieren.
Zur Beruhigung der Lage hat das nicht beigetragen. Den Aufzug der Armee werteten die Flüchtlinge in Brezice offenbar als Zeichen, dass sie noch länger festgehalten werden sollten – und legten aus Verzweiflung das Feuer. Doch jetzt steigen sie in die Busse, die sie nur ein paar Kilometer weit bis zum Bahnhof von Dobova fahren. Dort steht ein Zug bereit, der die Menschen an die österreichische Grenze bringen soll.
Auch bei Dobova spielten sich dramatische Szenen ab. Flüchtlinge, die auf der kroatischen Seite einen Zug verlassen hatten und sich ihren Weg nach Slowenien suchten, wateten in der Nacht zum Mittwoch verzweifelt durch das hüfthohe Wasser eines Bachs. Total durchnässt kamen sie ins Aufnahmezentrum Dobova. Dass in der Nähe eine Brücke gewesen wäre, hatte ihnen offenbar niemand gesagt.
Kälte und Regen verschlechtern die Lage zusätzlich. Schätzungen zufolge kommen allein in Serbien etwa 5.000 Menschen pro Tag an. In Sid an der kroatischen Grenze haben sie eine unangenehme Nacht hinter sich: Morgens um halb neun ist es dort noch vier Grad kalt. Viele haben hier vor dem Übergang Berkasovo-Bapska im Straßengraben geschlafen. Das UNHCR hat ihnen Planen zur Verfügung gestellt, dazu Rettungsdecken.
Jetzt herrscht Aufbruchsstimmung. Vor Metallgittern warten etwa eintausend Menschen, die nach Kroatien hinüberwollen. „Die sollen aufmachen“, sagt der 21-jährige Barsan aus Mossul im Irak, „die Leute ärgern sich schon.“ Mit seiner schwangeren Frau ist er aus der Türkei gekommen, wo er sich zwei Monate lang auf dem Bau Geld für die Überfahrt nach Griechenland verdient hat. Er möchte in Deutschland sein Ingenieurstudium beenden.
Ein paar Minuten später öffnet die Polizei den Durchgang. Als sie ihn wieder zeitweise versperren will, brechen die vielen Wartenden durch die Absperrung. Mehr als 4.000 Menschen gelangen so im Lauf eines Tages nach Kroatien, wie der serbische Innenminister Nebojsa Stefanovic mitteilt. Dasselbe passiert an der Grenze von Slowenien zu Österreich. Weil die Polizei dort sagt, sie habe keine Busse und Züge für den Transport, machten sich am Mittwoch 1.500 Flüchtlinge zu Fuß auf den Weg nach Graz.
Helfer vor Ort warnen vor dem Wintereinbruch. Die meisten Flüchtlinge seien ohne ausreichende Kleidung und Decken unterwegs. „Die Erschöpfung ist allgegenwärtig“, berichtet Iljitsj Wemerman von der Hilfsorganisation CARE. „Wir sehen Atemwegserkrankungen, Durchfall, Unterkühlung und Lungenentzündungen. Die Menschen schweben hier in Lebensgefahr.”
Sollte Deutschland seine Grenze irgendwann schließen, so werde das Kroatien auch tun, hat Außenministerin Vesna Pusic angekündigt. Serbien wird jedenfalls, versichert Premier Aleksandar Vucic weiter, „keinen Meter Zaun bauen“.