Wahl ohne Kampf

Das Stadtzentrum von Minsk: Konzertplakate säumen die Straßen, Passanten strömen aus den Metrostationen, Autos donnern über die breiten Boulevards. Nur hin und wieder verstellt ein Gestell den Fußgängern den Weg: „11. Oktober – Präsidentschaftswahlen der Republik Belarus“.
Es ist wie eine Gedächtnisstütze dafür, dass Belarus am Sonntag einen Präsidenten wählt. Die Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenko gilt als sicher. So sicher, dass man in der belarussischen Hauptstadt Wahlplakate vergeblich sucht. Lukaschenko selbst nimmt erst gar nicht an Fernsehdebatten teil. „Belarus hat keine Wahl“, schreibt die Konrad Adenauer Stiftung (KAS) in einem aktuellen Bericht.
Doch die Zeiten sind dramatisch: Mit der russischen Wirtschaftskrise wurde auch der belarussische Rubel – der „unglückliche kleine Bruder Russlands“, wie ihn Bloomberg zuletzt nannte – stark abgewertet. Belarus steckt in einer Rezession. Zugleich hat die russische Ukraine-Politik auch in Minsk Ängste vor dem großen östlichen Nachbar geschürt, der zugleich der wichtigste Verbündete ist. „Diese Verwerfungen verängstigen die Bevölkerung und bestärken den weitverbreiteten Wunsch nach Stabilität“, sagt Jörg Forbrig, Belarus-Experte beim German Marshall Fund of the United States. „Diese Wahl ist mehr als jede zuvor von extremer Apathie gekennzeichnet.“
Gespaltene Opppsition
Lukaschenko hat es verstanden, sich in diesen unruhigen Zeiten als Garant der Stabilität und Mittler im Ukraine-Konflikt zu inszenieren – trotz vieler hausgemachter Probleme. Drei Kandidaten treten gegen Lukaschenko an, wobei sowohl Sergej Gajdukewitsch als auch Nikolaj Ulachowitsch als systemkonforme Kandidaten gelten. Als einzige Kandidatin der demokratischen Opposition wurde Tazjana Karatkewitsch zu den Wahlen zugelassen.
Die Opposition hat diesmal einen besonders schweren Stand. Karatkewitsch wird dem Lager der „konstruktiven Opposition“ zugezählt und ist bisher im Wahlkampf mit eher konzilianten Tönen aufgefallen. Sie hat die Opposition in ein Lager der Falken und Tauben geteilt: Die Falken plädieren für einen Wahlboykott, sie vermuten in der Kampagne Karatkewitschs eine versteckte Kollaboration mit dem Regime oder gar ein Projekt des belarussischen Geheimdienstes. Die Tauben hingegen glauben an schrittweise Veränderungen durch Wahlen, an sanfte Rhetorik als einzige aktive Gestaltungsmöglichkeit in einer pikanten Lage.
So wiederholt die 38-jährige Psychologin Karatkewitsch immer wieder ihr Mantra von den „friedlichen Veränderungen“ und einer Politik der kleinen Schritte: „Wir können die Situation im Land nicht von einem Tag auf den anderen ändern, sondern nur Schritt für Schritt.“ Sie fordert eine „ausbalancierte Position zwischen EU und Russland“ und Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitssystem. Ihr Wahlkampfziel sei es, „alles dafür zu tun, dass die Leute verstehen, dass es eine Alternative gibt und dass sie durch Wahlen auf die Politik Einfluss nehmen können.“
Wahlkampf soft
Genau das wird allerdings von vielen in der Opposition in Abrede gestellt. „Es gibt keine freien und fairen Wahlen in Belarus“, sagt Anatol Ljabedska, Vorsitzender der Vereinigten Bürgerpartei. Ljabeska, der selbst nicht die nötigen 100.000 Unterschriften für die Kandidatur sammeln konnte, hat deswegen für den 11. Oktober eine besondere Empfehlung ausgesprochen: „Geht doch in den Wald zum Pilzesammeln oder zum Angeln“, sagt Ljabedska bei einer seiner Wahlveranstaltungen. Beim Boykott der Wahlen wird er vom ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und erst kürzlich freigelassenen politisch Gefangenen Mikalaj Statkewitsch unterstützt. Eine Veranstaltung zum Boykott der Wahlen kam allerdings zuletzt nicht über 200 Unterstützer hinaus.
Mit dem „Wahlkampf soft“ sind bisher aber auch große Skandale ausgeblieben. Einzig am Wochenende haben in Minsk rund 400 Menschen gegen eine geplante russische Militärbasis auf belarussischem Gebiet protestiert. Lukaschenko ist sichtlich um Eindämmung bemüht: Er erklärte am Dienstag überraschenderweise, dass „wir die Basis derzeit nicht brauchen.“ Am Wahltag selbst werden kaum Proteste erwartet – anders als bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2010, als noch am Wahlabend Tausende in Minsk gegen Wahlfälschung auf die Straße gingen. Heute werden Proteste – nicht zuletzt unter dem Einfluss der russischen Medien und ihrer Berichterstattung über die Ukraine-Krise – mit Umsturz, Chaos und Krieg assoziiert.
Die Friedhofsruhe auf den Minsker Straßen könnte Lukascheno somit nützen, „um keinen weiteren Anlass zur westlichen Kritik zu geben, um das Image von Lukaschenko im Ausland zu normalisieren“, schreibt Wolfgang Sender von der KAS. Spekuliert wird etwa über einen IWF-Kredit oder das Aussetzen der EU-Sanktionen. Am autokratischen System habe sich seither aber nichts geändert, kritisiert Forbrig: „Lediglich die Optik wäre aufgehübscht durch die Abwesenheit von Polizeigewalt. Dennoch käme der Westen nicht umhin, dies zu benennen und möglicherweise zu honorieren.“
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Quellen:
Persönliche Gespräche in Minsk
Bericht der Konrad Adenauer Stiftung