Belarus

Gegen die Wand

Als sie kommen, liegt Jaroslaw Uljanenkow gerade in der Badewanne. Maskierte Männer brechen die Tür ein, zerren ihn aus dem Badezimmer, legen ihm Handschellen an und werfen ihn zu Boden. Sie schlagen ihn – auf die Beine, auf die Rippen, auf den Kopf. Später wird Uljanenkow auf eine Polizeistation gebracht und verhört.

So erzählt es zumindest Uljanenkow, Beschuldigter in der so genannten „Graffiti-Affäre“. Uljanenkow und drei weiteren Männern wird vorgeworfen, Minsker Hauswände mit Graffitis besprüht zu haben. Während die Behörden wegen „Hooliganismus in der Gruppe“, „Extremismus“ und „Aufruf zu Massenunruhen“ ermittelt, wird das Verfahren von Menschenrechtlern kritisiert. „Die Vorwürfe und das brutale Vorgehen stehen in keinem Verhältnis zu den Taten“, sagt Nasta Lojka von der Menschenrechtsorganisation „Viasna“. Einem Verdächtigen wurde bei der Verhaftung der Kiefer gebrochen, es sollen auch Elektroschocker eingesetzt worden sein.

Im Zentrum der Affäre: Ein Graffiti mit der Aufschrift „Belarus muss Belarus sein“, auf belarussisch, rechts und links ein Sowjetsymbol und Hakenkreuz, jeweils durchgestrichen sowie ein Graffiti mit einer Figur, die einen Molotow-Cocktail wirft, mit der Aufschrift „Revolution des Geistes“. „Was soll daran so schlimm sein, dass ein Land sich zu seinen kulturellen Wurzeln bekennt?“ fragt Uljanenkow, der als einziger der vier Beschuldigten weder in Untersuchungshaft noch im Krankenhaus ist. Uljanenkow betont, nicht an den besagten Graffiti-Aktionen beteiligt gewesen zu sein. „Aber selbst, wenn ich Verdächtiger in dieser Sache bin – ist es etwa in Ordnung, mich wie einen Schwerverbrecher zu behandeln?“ Seine Verletzungen – Wunden am Bein, Blutergüsse am Oberkörper und im Gesicht – hat er mit Fotos dokumentiert.


Aktivisten wegen Graffitis verurteilt

Beobachter gehen in der „Graffiti-Affäre“ von politisch motivierter Verfolgung aus. In Belarus, das sich stark an seiner sowjetischen Vergangenheit orientiert, gilt die Verunglimpfung von Sowjetsymbolen als Provokation und Belarussisch als Sprache der Opposition. „Die Graffitis sind kein Aufruf zu gewaltsamen Taten, sondern einfach der Ausdruck einer Meinung“, sagt Lojka. „Deswegen sehen wir ganz klar politische Motive für die Verfolgung und finden, dass ein Bußgeld für den Schaden das angemessene Strafmaß wäre.“

In Belarus wäre es indes nicht das erste Mal, dass Aktivisten wegen Graffitis verurteilt werden. So wurden bereits 1997 zwei junge Männer wegen der belarussischen Aufschrift „Zhywe Belarus!“ (Es lebe Belarus!) – ein Kampfruf der Opposition – zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Der aktuelle Fall ist in Belarus im Trubel um die Freilassung von sechs politisch Gefangenen – darunter auch des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Mikola Statkewitsch – untergegangen. Am 11. Oktober finden in Belarus Präsidentschaftswahlen statt. Schon wurde über ein Tauwetter sowie eine Annäherung an die EU spekuliert. Wie auch der wichtigste Handelspartner Russland steckt Belarus in einer Wirtschaftskrise. Präsident Alexander Lukaschenko ist folglich an einer Verbesserung des Klimas mit dem Westen interessiert, sind sich Experten einig. Wenn Lukaschenko Zugeständnisse an die EU macht, könnte das den Weg zu einem Westkredit ebnen, so der Tenor in Minsk.


Sprayen als „Aufhetzung“

Wie die „Graffiti-Affäre“ zeigt, geht die Verfolgung Andersdenkender allerdings weiter. Zwei der Beschuldigten wurden zwar dieser Tage nach 20 Tagen U-Haft entlassen, aber das Strafverfahren dauert an. Den Behörden zufolge sollen die Männer die Autorschaft der Graffitis gestanden haben. Beim Prozess drohen den Beschuldigten wegen „Hooliganismus in einer Gruppe“ und „Aufhetzung“ mehrere Jahre Haft.

Die Verfolgung der Graffiti-Sprayer folge einer gewissen Gesetzmäßigkeit, sagt Ales Bjaljazki, Gründer von „Viasna“, der selbst von 2011 bis 2014 in Haft saß: „Den Druck des Regimes bekommen jetzt jene zu spüren, die in der Öffentlichkeit weniger bekannt und somit weniger geschützt sind.“ Die „Graffiti-Affäre“ diene als Beispiel, um junge Aktivisten wenige Wochen vor den Wahlen einzuschüchtern – ohne zugleich international zu große Aufmerksamkeit zu erregen. Bjaljazki weist auf die Parallele von 2010 hin, als vor den Wahlen Anarchisten verhaftet wurden. Die Repressionen gegen prominente Regimekritiker kamen erst nach den Wahlen.

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Quellen:

Persönliche Gespräche in Minsk

Pressemeldungen des belarussischen Untersuchungskomitees:
http://sk.gov.by/ru/news-ru/view/sledstvennym-komitetom-prodolzhaetsja-rassledovanie-ugolovnogo-dela-o-xuliganskix-dejstvijax-i-porche-1692/
http://sk.gov.by/ru/news-ru/view/figuranty-ugolovnogo-dela-o-xuliganstve-vozmestili-prichinennyj-uscherb-1721/

Infos zur Verurteilung der Graffiti-Sprayer aus dem Jahr 1997


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