Wo Hammer und Sichel noch Alltag sind
Das Innere des „Museums der Tragödie von Bendery“ wirkt düster und irgendwie monumental. Dunkle Rottöne überwiegen, und über den zahlreichen schwarz –-weiß - Bildern prangt ein mächtiger goldener Sowjetstern mit Hammer und Sichel. Die Ausstellung handelt von dem kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg des Jahres 1992, an den sich die freundlichen Museumswärterinnen so erinnern: „Es war schrecklich, plötzlich wurde geschossen, die halbe Stadt brannte, wo eben noch Hochzeit gefeiert wurde, nun Schrecken und Entsetzen. Man gönnte uns die Unabhängigkeit nicht, dabei wollten wir doch nur in Frieden leben.“ Die moldawischen Nationalisten hätten einfach keine Ruhe gelassen. „Man zwang uns das lateinische Alphabet auf. Schließlich griffen sie uns an, unterstützt von Heckenschützen aus dem Baltikum.“ Und immer wieder: „Es war schrecklich...!“
Entsprechend ist die Auswahl der Fotos an den Wänden und in der vor Ort erhältlichen Broschüre: Eine zertrümmerte Gitarre, eine Katze in einer zerstörten Wohnung und zu Hilfe gekommene Donkosaken in heldenhaften Posen, bis an die Zähne bewaffnet und postiert vor einer sowjetischen Fahne. Dazu immer wieder Bilder von Toten und Verwundeten. Transnistrien, der abtrünnige Osten der einstigen Sowjetrepublik Moldawien, wie es sich selber sieht und sich nach außen hin darstellt: Eine russisch dominierte Insel des Sowjetsozialismus inmitten eines Meeres missgünstiger, dem internationalen Kapitalismus anheim gefallener Staaten.Den Höhepunkt spätstalinistischer Heldenverehrung bildet ein zweiter Raum, in dem alle Opfer mit Bild und namentlich dargestellt werden.
Bendery, moldawisch Tighina, liegt 60 km entfernt von Chisinau, der moldawischen Hauptstadt. Nähert man sich der Stadt von Westen, erreicht man hinter einer Kurve recht unerwartet die Grenze der PMR, der„Pridnjestrowskaja moldawskaja Respublika“, also der Vor – nistrischen Moldaurepublik, wie Transnistrien hier mit Blickrichtung West selbstbewusst genannt wird. Alles wirkt sehr einfach, ja schäbig. Nur ein provisorischer Schlagbaum und einige Baracken. Hinzu kommen Soldaten in merkwürdigen Uniformen oder Tarnanzügen, deren einzige Gemeinsamkeiten in den unübersehbaren Sowjetsternen auf den Mützen zu bestehen scheinen. Diese haben offensichtlich die Aufgabe, hier, vielleicht weniger für Recht, so doch zumindest für Ordnung sorgen.
Sieben Lei (etwa 50 Cent) sind als Einlassgebühr zu bezahlen. Niemand ist davon ausgenommen, selbst für moldawische Staatsbürger gilt diese Regelung. Erst nach Erhalt einer Quittung ist der Weg in eines der seltsamsten politischen Gebilde Europas frei und der Schlagbaum und das Schild “Herzlich willkommen in der PMR“ dürfen passiert werden. „Herzlich willkommen – für sieben Lei“ wie ein mitreisender Ukrainer lakonisch bemerkt.
Auf den ersten Blick wirkt Bendery wie eine normale postsowjetische Stadt, wie man sie auch in Russland oder der Ukraine finden kann. Plattenbauten am Stadtrand prägen das Bild und für den öffentlichen Transport sorgen altertümliche Trolleybusse. Auffällig sind jedoch unzählige Spruchbanner, wie man sie als Deutscher vermutlich zuletzt vor 14 Jahren in der DDR gesehen hat: „Die PMR – unser Stolz“, „Frieden und Fortschritt sind Menschenrecht“, „Ruhm Dir, unserer Republik“ Kein Wunder, denn wie schon im einstmals real existierenden sozialistischen deutschen Osten regiert auch hier die Einheitspartei. („Jedinstwo“). „Unsere Kraft liegt in der Einheit“ - so kann man es hier lesen.
Transnistrien – wie kam es zu dieser seltsamen Laune der Geschichte? Es fing mit Stalin an. Der größte Teil des heutigen Moldawiens, das westlich des Flusses Dnjestr gelegene Bessarabien, seit 1918 zu Rumänien gehörig, war für Stalin unerreichbar. Um den sowjetischen Anspruch darauf deutlich zu machen, wurde während der 20er Jahre die Autonome Moldawische Sowjetrepublik, östlich des Dnjestr auf dem Territorium der damals ebenfalls sowjetischen Ukraine gegründet. Dies, obwohl nur eine Minderheit der Bevölkerung der moldawischen Volksgruppe angehörte. Als nach dem 2. Weltkrieg Bessarabien an die Sowjetunion angegliedert wurde, entstand beiderseits des Dnjestr die moldawische Sowjetrepublik. Tatsächlich jedoch war die Bindung der überwiegend slawischen Bevölkerung östlich des Flusses zum rumänischsprachigen Moldawien, auch zu Sowjetzeiten gering. Es folgte eine mit eiserner Hand durchgeführte Russifizierungspolitik in den ehemals rumänischen Landesteilen, verbunden mit zahlreichen Deportationen und Todesopfern - angeordnet vom damaligen moldawischen KP Chef, einem gewissen Leonid Breschnjew. Alle Schlüsselpositionen wurden von Russen besetzt und die rumänische Sprache musste fortan in kyrillischer Schrift geschrieben werden.
Als unter Gorbatschow den Republiken wieder mehr Selbständigkeit ermöglicht wurde, führte man die lateinische Schrift wieder ein. Als schließlich eine Angliederung des mittlerweile selbständigen Moldawiens an Rumänien verstärkt diskutiert wurde, erklärte sich der russisch dominierte Teil für unabhängig und rief die PMR aus. Die Situation eskalierte im Jahre 1992 mit dem erwähnten Bürgerkrieg und über 500 Toten, der erst durch das Eingreifen der russischen Streitkräfte unter General Lebed beendet werden konnte.
Von Beginn an wurde die politische Szene beherrscht von der alten kommunistischen Garde, also ehemaligen Funktionären und Kombinatsdirektoren. Insbesondere Regierungschef Smirnow werden beste Verbindungen zur internationalen Mafia nachgesagt. Eine nennenswerte Opposition gibt es nicht und die Pressefreiheit wird durch Gesetze stark eingeschränkt. So sind Berichterstattungen, sofern sie die bestehende Staatsform in Frage stellen, nicht zulässig. Auch der Geheimdienst besitzt eine unrühmliche Schlüsselstellung. Somit sind Wahlergebnisse von fast 80% wie zuletzt vor drei Jahren, wenig verwunderlich. Ebenfalls kaum erstaunlich ist die Tatsache, dass Smirnow eine eher geringe Neigung verspürt, an den bestehenden Verhältnissen etwas zu ändern. Der international vereinbarte Abzug der russischen Truppen wurde immer wieder verschoben.
Heutzutage wirkt das Zentrum von Bendery friedlich, nahezu idyllisch jedoch auch seltsam menschenleer, so als zeigte die bis vor kurzen geltende nächtliche Ausgangssperre immer noch Wirkung. Das gastronomische Angebot ist gering, Autos fahren kaum und selbst auf dem Markt herrscht bei weitem nicht das für die Staaten der GUS so typische Gedränge. Erschwerend kommt hinzu, dass alle Geschäfte verpflichtet sind, als Zahlungsmittel ausschließlich den transnistrischen Rubel zu akzeptieren.
Dabei könnte die Stadt durchaus attraktiv sein, denn es gibt einiges zu sehen: Eine mittelalterliche Burgruine am Ufer des Flusses, umgeben von den Wällen einer Festungsanlage aus türkischer Zeit, eine Kathedrale sowie ein geschlossen erhaltenes Altbauviertel aus dem 19. Jahrhundert. Auch die Strände und Uferzonen rund um die einstmals heftig umkämpfte Dnjestrbrücke wirken idyllisch und dienen der einheimischen Bevölkerung als Freibad.
Ein pompöses Mahnmal für die Opfer des Bürgerkrieges mit Panzer und ewiger Flamme sowie die an der Brückenauffahrt postierten russischen Soldaten zeigen aber, dass es sich hier nach wie vor um eine trügerische Idylle handelt. Somit erscheint für Reisende eine abendliche Rückkehr nach Chisinau durchaus angebracht.
Wer sich überhaupt über die Grenze nach Transnistrien wagt oder das Gebiet Richtung Ukraine überqueren will, muss mit korrupten Grenzern rechnen. Den Autoren dieser Zeilen kostete die Weiterreise nach Odessa 40 US-Dollar Schmiergeld, für transnistrische Verhältnisse ein Vermögen. Wie sagte doch die Frau im Museum tags zuvor auf die Frage: Was sie glaube, hier in zehn Jahren vorzufinden? „Natürlich hoffe man international anerkannt zu werden, schließlich sei hier alles in bester Ordnung, friedlich, demokratisch und rechtsstaatlich.“