„Der Krieg darf nicht zur Norm werden“
n-ost: Yevgenia, auf Ihren Farbfotografien aus dem umkämpften Donbass zeigen Sie keine Verwundeten, keine Ruinen – sondern vor allem „Schachtjory“, Bergarbeiter, die weiter Kohle fördern, die zur Arbeit gehen, obwohl sie dafür oft monatelang keinen Lohn mehr bekommen. In Zeiten des Krieges bewahren sie sich durch ihre tägliche Arbeit ein Stück Normalität. Sie selbst kommen aus Kiew. Wie haben Sie diese Welt hinter den Panzern entdeckt?
Yevgenia Belorusets: Ich war immer wieder im Donbass, etwa 15 Mal seit dem Sommer 2014. Meine allererste Entdeckung war der Krieg. Und ich konnte nicht glauben, dass seine leicht kindische und irreale Oberfläche, mit den Panzern, Waffen, Soldaten, plötzlich in den Städten meines Landes auftauchte. In der Ausstellung versuche ich über etwas zu reden, was sich hinter diesen auffallenden Kulissen versteckt. Über etwas, das scheinbar unabhängig vom Krieg neben ihm existiert: nämlich Arbeitswelten und Lebensräume, wo die Menschen plötzlich ihre Rechte verlieren und das nicht akzeptieren können. Und ich versuche zu sagen, dass wir alle zu Betrachtern des Krieges geworden sind, und zulassen, dass dieser Krieg weiter geht.
Auf vielen Ihrer Fotos ist Nebel zu sehen oder Rauch. Dies verstärkt den Eindruck eines eigenen, geschlossenen Raumes – aber auch einer Welt, die ausgeblendet ist, von außen nicht zu sehen.
Belorusets: Manchmal zweifle ich selbst, ob es diese Welt auf meinen Bildern wirklich gibt. Wenn man in Kiew oder in Berlin ist, bleibt von ihr wenig übrig. Über sie wird in den Nachrichten kaum berichtet. Gerade die Bergarbeiter im Donbass werden von russischen Propagandamedien oft als Initiatoren des Krieges dargestellt: sie hätten Russland gebeten, „ihre Rechte zu schützen“, sie gegen den „ukrainischen Faschismus zu verteidigen“. Doch diese Propaganda wirkte mehr auf Kiewer als auf die Arbeiter selbst. Lange herrschte in der Zentralukraine die Überzeugung, dass die Menschen im Donbass die Schuld an diesem Krieg tragen.
Darüber hinaus ist die EU uneins, auch unentschlossen, wie mit dem Krieg in der Ukraine und wie vor allem mit Russland umzugehen ist. Auch die deutsche Gesellschaft ist in dieser Hinsicht tief gespalten.
Belorusets: Hier, und auch in Kiew, wird der Krieg immer mehr als Gegeben hingenommen. Die Empörung darüber und die Bereitschaft, dringend etwas dagegen zu tun, scheinen zu verschwinden. Der Krieg wird zu einer Art Norm. Das erschreckt mich. Die Menschen in der Ostukraine bringen ihre letzten Kräfte auf, um die Werte eines friedlichen Lebens zu bewahren. Sowohl Europa als auch Kiew müssen jetzt alles tun, um den Krieg zu beenden.
Neben den Fotografien werden in der Ausstellung auch Ihre Texte über den Donbass zu lesen sein. Sie bewegen sich an der Schnittstelle von Literatur, Kunst und gesellschaftlichem Engagement: Hat der Krieg Ihr Verhältnis zur Kunst verändert?
Belorusets: Es gibt Momente in der Geschichte, die uns scheinbar keine Wahl lassen und die jede Zeile zu einer politischen Aussage machen. Das denke ich auch, wenn ich Autoren lese wie Daniil Charms, Ossip Mandelstam oder Paul Celan. Doch der Krieg ist etwas, was ich oft nicht fassen kann. Wie er mich verändert, wird sich erst noch zeigen. Aber ich hoffe, dass es mir gelingt, ihn nicht zu tief in mein Leben und in meine Vorstellungen dringen zu lassen – wie es auch den Bergarbeitern gelungen ist, die ich fotografiert habe.
Zur Person:
Yevgenia Belorusets ist eine ukrainische Fotografin, Künstlerin und Autorin. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Kiew. Sie ist Mitbegründerin der Zeitschrift für Literatur und Kunst „Prostory“ und seit 2009 Mitglied der Kuratorengruppe „Hudrada“. Belorusets arbeitet mit Video, Fotografie und Installationen an der Schnittstelle von Kunst, Literatur und sozialem Aktivismus. Die Fotoserie ist Teil ihres Projektes „Die Siege der Besiegten“. Es hat die Erforschung und Dokumentation bürgerlichen Widerstands gegenüber Konflikt- und Kriegspolitik zum Ziel.
Die Ausstellung „Versöhnung, die wir verpasst haben“ wird am 14. August um 18 Uhr in der Kapelle der Versöhnung (Bernauer Str. 4, 10115 Berlin) eröffnet. Bis 11. November 2015 ist sie täglich, außer montags, von 10:00 – 17:00 Uhr zugänglich. Weitere Informationen hier.