Kochen für die Menschlichkeit
Der Mann mit der schwarzen Kappe rührt mit der Kelle die Fleischstücke in einem riesigen Topf um. Es ist früher Nachmittag auf dem Monastiraki-Platz in der Altstadt von Athen. Auf dem Hügel sieht man die Akropolis, Touristen und Einheimische schlendern durch die Hitze.
Ein paar Meter weiter an provisorischen Klapptischen warten Rentner, Obdachlose, Flüchtlinge und Drogenabhängige auf ihr Essen. „Heute gibt’s Giouvetsi!“, preist Konstantinos Polychronopoulos das traditionelle Fleischgericht mit Pasta in Tomatensauce an. Ein feiner Geruch weht über den Platz. „Ich zähle auf die Neugier und die Solidarität der Menschen“, sagt der 51-Jährige, während er mit einem breiten Lächeln auf die Menschenmenge blickt.
Seine mobile Küche gründete Konstantinos zu Beginn der Krise im Jahr 2011. Er gab ihr den Namen „O allos anthropos“ – auf Deutsch „Der andere Mensch“. Zum Essen lädt er jeden ein, der gerade vorbeikommt – egal ob Rentner, Arbeitslosen oder Angestellten. Konstantinos möchte, dass die Griechen beim Essen wieder ins Gespräch kommen trotz der tiefen Gräben, die die Wirtschaftskrise in der Gesellschaft hinterlassen hat. Das Wort „Suppenküche“ mag er nicht, es klingt ihm zu sehr nach Armenspeisung. „Das Essen ist für alle. Es geht hier um Liebe, Solidarität und Respekt. Nicht um Almosen“.
Vor der Krise war Konstantinos in einem internationalen Unternehmen für Marketing und Werbung zuständig. Zwei Jahre war er arbeitslos und vergeblich auf Stellensuche. Die Idee für seine Küche kam ihm, als er zwei kleine Kinder sah, die sich um faules Obst aus dem Müll zankten. „Den Passanten war das egal. Sie sind einfach weitergegangen. Das hat mich schockiert“, sagt er.
Jeden Tag kochen Konstantinos und seine freiwilligen Helfer an verschiedenen Plätzen in der griechischen Hauptstadt, meistens dort, wo sich Obdachlose und andere mittellose Menschen aufhalten. Den riesigen Topf und die Gaskochanlage haben sie von einer Hilfsorganisation geliehen, die Lebensmittel kauft sein Team ausschließlich mit Spenden von Privatpersonen. Geld von Institutionen oder Parteien akzeptiert Konstantinos nicht. Monatlich versorgt er bis zu 5.000 Personen.
Zu Beginn saßen vor allem die vielen Flüchtlinge aus Afrika und Asien an seinem Tisch. Mittlerweile sind es zu über 80 Prozent Griechen, die zu ihm kommen. Die Armutsrate wächst ständig: Nach Angaben der griechischen Statistikbehörden waren allein im vergangenen Jahr mehr als 36 Prozent der Griechen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Ein Grund, warum Konstaninos' Suppenküche auch in anderen Städten im Land Nachahmer gefunden hat.
Die geschlossenen Banken oder selbst ein drohender Grexit haben wenig Bedeutung für Konstantinos. Er ist selbst mittellos. Privatleute, die sein Projekt unterstützen, stellen ihm ein Auto und eine Wohnung zur Verfügung. „Ich habe weder Euros noch Drachmen in der Tasche. Und so wie mir geht es drei Millionen anderer Griechen. Mich stört, dass hier überhaupt kein Sozialstaat existiert, um für uns zu sorgen, obwohl wir jahrelang gearbeitet und Steuern bezahlt haben.”
Das Essen ist fertig. Konstantinos und seine Helfer füllen es mit der Kelle in Aluminiumpackungen und verteilen es. In der Schlange steht auch Michalis. Der 67-Jährige lebt in einer Holzhütte, die er sich selbst gebaut hat, in einem Vorort von Athen. Seine Wohnung musste er aufgeben, er bekommt weder Rente noch Sozialhilfe, weil er wegen einer Krebserkrankung schon lange nicht mehr arbeiten kann. „Konstantinos hat es mit diesem Projekt geschafft, alle guten Menschen zusammenzubringen“, sagt er.
Innerhalb von einer Viertelstunde ist der Topf leer. Elena Angelopoulou, 46 Jahre alt, ist Schauspielerin. Jeden Tag, zwischen den Proben zu den Theaterstücken, hilft sie bei der Essensverteilung. Seit der Krise unterstützen ihre Landsleute Projekte wie dieses bewusster, beobachtet sie. Immer wieder fragen Passanten während der Essenvorbereitung, was sie spenden können. „Früher haben die Menschen ihre Spende als Almosen gesehen. Jetzt wissen wir, dass jeder in solche eine Notlage geraten kann“, sagt Elena.