Kasachstan

„Schön ist, was glänzt“

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n-ost: Wie kamen Sie auf die Idee, einen Architekturführer über die kasachische Hauptstadt Astana zu schreiben?

Philipp Meuser: Ich beschäftige mich seit Jahren mit der Sowjet-Architektur in Zentralasien. Als Architekt vor Ort habe ich viele Gebäude für Auftragsanfragen angeschaut und konnte so Material für einen Architekturführer sammeln. Dieser ist sicherlich exotisch. Tatsächlich aber gibt es bisher weder auf Russisch noch auf Englisch einen Überblick zeitgenössischer Architektur in Kasachstan. Es fehlt einfach an Leuten, die sich damit auf hohem Niveau auseinandersetzen.


Warum sind Sie als Architekt nach Kasachstan gegangen?

Meuser: 2004 hat mein Berliner Architekturbüro den Auftrag erhalten, den Umzug der deutschen Botschaft in Kasachstan aus Almaty in die neue Hauptstadt Astana umzusetzen. Daraus haben sich in Kasachstan weitere Aufträge ergeben, für andere Botschaften, aber auch für kasachische Bauherren. Diese Projekte waren nicht immer ganz einfach, denn die Baukultur in Kasachstan ist nicht mit der in Europa zu vergleichen.


Wo liegen die Unterschiede?

Meuser: Der Architekt gilt in Kasachstan nicht als jemand, der die Fäden in der Hand hält. Er wird in eine Reihe mit den Handwerkern gestellt. Es braucht wohl noch eine oder zwei Generationen, um zu verstehen, dass ein Architekt im Sinne des Bauherrn handelt. Kasachen sehen den Architekten als bloßen Lieferanten für das Design. Das war früher anders.


Inwiefern?

Meuser: Die kasachische Architektur der Sowjetzeit hat eine andere Qualität als heutige Bauten. Die Oper in Almaty beispielsweise – 1936 bis 1941 von den russischen Architekten Nikolai Kruglov und Nikolai Prostakov gebaut – wirkt heute uralt, entspricht nicht mehr der modernen Zeit. Aber es ist gut, dass so etwas noch erhalten ist. Heute scheint es wichtig, Spiegelglas zu verbauen, hier noch einen Erker anzusetzen, da ein Türmchen. Angesichts der völlig überdimensionierten Wohnkomplexe in Astana oder Almaty wird man in 20 Jahren wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sagen: Mein Gott, wie konnte man so etwas bauen?


Woher kommt denn dieser heute offenbar fehlende Sinn für Ästhetik?

Meuser: Zum einen gibt es das Geschmacksempfinden, das Sehen von Schönheit. Vielen ist das angeboren, aber man kann es auch erlernen.
Zum anderen hängt es auch am Selbstbild der kasachischen Architekten, die sich eben nur als Dienstleister sehen. Wenn der Bauherr sagt, er hätte gern eine Säule mit einem schönen Kapitell, dann bekommt er das in seine Wohnung – auch wenn es von Proportionen und Raumaufteilung her nicht sinnvoll ist.


Wie sehen Sie die kasachische Architektur im internationalen Vergleich?

Meuser: Es gibt riesiges Entwicklungspotenzial. Wie in den anderen ehemaligen Sowjetstaaten – außer im Baltikum – ist das Niveau der Architektur zu Beginn der Unabhängigkeit zunächst deutlich gesunken. Um wieder das alte Niveau zu erreichen, braucht Kasachstan Zeit. Ich begrüße deshalb, dass die Expo im Jahr 2017 in Kasachstan stattfinden wird, und dass ein relativ junges Land den Mut dazu hat.
Aber mir stellt sich auch die Frage, was danach in Astana passiert. Wer wird dann die ganzen Glitzerprojekte, die riesigen Flächen, die jetzt bebaut werden, nutzen? Ästhetisches Empfinden, so wie ich es bei vielen Kasachen erlebt habe, bedeutet: Schön ist etwas nur dann, wenn es neu ist und glänzt. Das ist aber nicht das alleinige Kriterium, um architektonische Qualität zu bewerten.



    

 

Philipp Meuser (Hrsg.)
mit Beiträgen von Adil Dalbai und Guido Herz
Architekturführer Astana
DOM publishers
224 Seiten
ISBN: 978-3-86922-406-0
38,00 Euro


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