Zuflucht im deutschen Containerdorf
„Ich kann keine Waffe mehr in die Hand nehmen“, sagt Viktor. Der Rentner schaut über die Dächer einer Flüchtlingssiedlung in der Stadt Pawlohrad, etwa 150 Kilometer von der Frontlinie im Osten der Ukraine entfernt. Die Wolken hängen tief. „Ich habe schon damals in Afghanistan gekämpft, ich stehe sozusagen im Blut, ich kann nicht mehr in den Krieg ziehen“, fügt der 63-Jährige hinzu, als wolle er sich dafür entschuldigen, dass er aus der Bergbaustadt Kirowskoe im Osten der Ukraine geflohen ist.
Die prorussischen Separatisten wollten den ehemaligen Minenarbeiter zwingen, auf ihrer Seite zu kämpfen. Nun wohnt er in einem der fünf deutschen Containerdörfer für ukrainische Flüchtlinge im Gebiet Dnipropetrowsk im Südosten der Ukraine. Zwei weitere Siedlungen befinden sich in den Städten Charkiw und Saporoschje. Alle sieben Containerdörfer für insgesamt 4.600 Menschen wurden von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag der Bundesregierung eingerichtet.
Mehr als zwei Millionen Ukrainer ohne Zuhause
Mehr als 1,2 Millionen „Binnenvertriebene“ gibt es laut Sozialministerium in Kiew in der Ukraine derzeit. Insgesamt haben mehr als zwei Millionen Menschen ihr Zuhause bereits wegen des Krieges verloren. Fast 800.000 davon haben sich für eine Zuflucht in der Nähe des Donbass entschieden. Allein im Gebiet Dnipropetrowsk hat man offiziell etwa 91.000 Binnenflüchtlinge aufgenommen, dazu kommen laut Stadtverwaltung 50.000 nicht Registrierte. In der Stadt Pawlohrad wohnen zurzeit 6.200 Menschen aus dem umkämpften Donbass.
Die meisten Bewohner der Flüchtlingssiedlung sind glücklich darüber, ein Dach über dem Kopf gefunden haben. „Wir haben tagelang in einem Keller darauf gewartet, dass der Beschuss irgendwann aufhört und hatten nur hartes Brot zu essen,“ erinnert sich eine ältere Frau mit zitternder, hoher Stimme. Mehr will sie nicht sagen, sie macht ihre Tür zu.
Von insgesamt 244 Menschen, die jetzt im Pawlohrader Containerdorf wohnen, sind 73 Rentner. Das ist die ärmste Schicht der ukrainischen Bevölkerung, die Durchschnittsrente beträgt hier etwa 70 Euro pro Monat. Als „Binnenvertriebene“ haben Rentner, Kinder und Behinderte noch einen Anspruch auf 35 Euro Sozialhilfe im Monat – zunächst beschränkt auf ein halbes Jahr. Den arbeitsfähigen Flüchtlingen zahlt der Staat nur 17 Euro im Monat. Wenn man innerhalb von zwei Monaten keine Arbeit findet, wird diese Hilfe halbiert und nach zwei weiteren Monaten eingestellt.
Obwohl die Siedlungen als Notunterkünfte der GIZ eigentlich zum Wintereinbruch eingerichtet waren, konnten die meisten von ihnen erst im April bezogen werden. Das Problem waren die Nebenkosten, die für die Flüchtlinge für hoch waren – etwa 32 Euro im Monat. Nun hat die Stadtverwaltung Dnipropetrowsk zugesagt, den größten Teil davon zu übernehmen.
Eigentlich als Übergangslösung gedacht
Für die Familie von Tetiana Semeniwna, 55, aus Krasnodon im Gebiet Luhansk, ist dies eine große Erleichterung. Nachdem sie im Juli in Pawlohrad mit ihrem Mann, ihrer Tochter, dem Schwiegersohn und ihren beiden Enkeln angekommen war, musste die Familie eine Wohnung mieten. Dafür haben sie einen großen Teil ihrer Ersparnisse ausgegeben. Vor kurzem habe ihr Schwiegersohn endlich Arbeit gefunden, erzählt Tetiana Semeniwna mit einem Lächeln. Ihre Freude ist verständlich – andere Männer im Hof klagen gerade darüber, dass es in Pawlohrad keine Jobs für sie gibt.
Kleine, auf Schotter errichtete Häuser, verkleidet mit Plastik, ohne Klimaanlagen – die deutschen Siedlungen waren eigentlich als Transitdörfer gedacht. Nun kommt es anders. Während im Donbass weiter geschossen wird, und solange die Flüchtlinge keine Mittel für eine andere Unterkunft haben, werden sie hier bleiben müssen. „Warum nicht?,“ sagt eine der Bewohnerinnen. „Es ist gar nicht so schlecht hier. Wir sind ein kleines Deutschland in Pawlohrad.“