Im Schwebezustand
Die Filialen der „Republikanischen Bank“ sind die einzigen Orte, an denen in diesem Kriegsfrühling in Donezk Optimismus zu spüren ist. Zumindest unter den Rentnern, die hier an der Artem-Straße in der Schlange stehen: Der 62-jährige ehemalige Kohlekumpel Wladimir kommt gerade mit einem Bündel Rubelscheine in der Hand aus der Glastür. Vorher zahlte man ihm 3.000 Griwna, jetzt sind es 6.000 Rubel, beides umgerechnet etwa 100 Euro.
„Das ist das erste Geld, das ich seit vergangenem Oktober erhalten habe“, sagt er freudig. Bis dahin bekam er seine Rente noch von Kiew. Das neue Geld kommt direkt aus Moskau. Die eigenen Steuereinnahmen der Volksrepublik müssen so gering sein, dass sie darüber nicht einmal Auskunft gibt. Auch in den Geschäften stammt schon mehr als die Hälfte der Waren aus Russland. Seit April sind sie verpflichtet, auch Rubel anzunehmen. Die Integration des Donbass mit Russland verläuft schleichend.
Vom „Festland“ abgeschnitten
Vor einem Jahr erklärten die Volksrepubliken ihre Unabhängigkeit, einen Monat später stimmten die meisten Menschen in den Regionen Donezk und Luhansk per Referendum für eine Abspaltung von der Ukraine – die Annexion der Krim hatte Hoffnungen geweckt, dass Russland auch sie angliedern würde.
Aber stattdessen entsandte Kiew Panzer und Kampfflugzeuge, daraufhin schickte Russland Panzer und Luftabwehrraketen. Der Krieg eskalierte. Nach den militärischen Niederlagen im August änderte Kiew seine Strategie. Es schnitt die Gebiete wirtschaftlich vom „Festland“ ab: Keine Renten mehr an die Bürger in den Republiken, keine Gehälter mehr an die Lehrer und Ärzte, das Bankensystem wurde abgeschaltet. Das stellt die Volksrepubliken vor ein unlösbares Problem. Unlösbar selbst mit kurzfristigen Finanzspritzen aus Moskau.
Die ehemals quirlige Millionenstadt Donezk wird von Monat zu Monat trostloser. Von den Werbetafeln flattern nur noch Papierfetzen, die einzigen „frischen“ Plakate rufen Männer zum Eintritt in die Bataillone der Separatisten auf. Mehr als Krieg haben die Volksrepubliken nicht zu bieten.
Zwar hat das im Februar in Minsk geschlossene Abkommen für relativen Frieden gesorgt: Zwar beschießen sich Separatisten und Ukrainer an den Stadträndern von Mariupol und Donezk noch immer, aber eben kaum noch aus schwerem Gerät. Dass dieses dem Abkommen entsprechend zum großen Teil ins Hinterland verbracht wurde, stellt auch die OSZE-Beobachtermission in ihren jüngsten Berichten fest.
Das öffentliche Leben ist tot
Die Mittel sind so gering, dass die Republiken nicht einmal den eigenen Angestellten Gehälter zahlen können. Vor der „Republikanischen Bank“ wartet eine ältere Frau, die in der jetzt verstaatlichten Telefongesellschaft arbeitet. Im September hat sie zum letzten Mal Gehalt aus Kiew bekommen, seit dem arbeitet sie als „Freiwillige“, wie sie es nennt. Die Frau ist gebildet, gut gekleidet, sie gehörte vor dem Krieg zur Mittelschicht. Aber auch ihre Ersparnisse sind inzwischen aufgebraucht. „Irgendetwas muss passieren. So kann es nicht bleiben“, sagt sie.
Rein oberflächlich funktioniert die Stadt: Die Trams rattern über die in die Straße eingelassenen Gleise, die Busse fahren kreuz und quer durch die Stadt. Aber die Straßen wirken selbst zu Stoßzeiten morgens und nachmittags verlassen. Das öffentliche Leben ist praktisch tot. Zweimal die Woche spielt die Donbass-Oper zur Mittagszeit auf, ebenso das Theater der Stadt, weil abends die Sperrstunde die Menschen zu Hause hält.
Die Betriebe der Volksrepubliken verkaufen derzeit in geringen Mengen Kohle in die Ukraine, auch einige wenige Fabriken produzieren. Aber sowohl die Einfuhr als auch die Ausfuhr von Waren und Rohstoffen haben die Ukrainer so erschwert, dass ein Funktionieren der Industrie unmöglich ist. Selbst für normale Bürger ist es inzwischen sehr schwer, die Volksrepubliken in Richtung Ukraine zu verlassen: Im Januar haben die Ukrainer ein Passierscheinsystem eingeführt, das für die meisten Bewohner unüberwindlich ist. Hier kommt nur durch, wer einen Passierschein hat. Den bekommt aber nur, wer einen Antrag außerhalb der Volksrepubliken stellt. Ein Teufelskreis, überwindbar nur durch gute Verbindungen – oder Bestechung.
„Die Ukraine hat keine Zukunft“
Das „Traveller's Coffee“ im Zentrum wirkt wie ein Café in Berlin oder New York. Aber es ist fast leer. In einer dunklen Ecke sitzen Sergej, 18, und seine Freundin Kristina, 16. Aneinander gekuschelt rauchen sie Wasserpfeife. An das Leben im Ausnahmezustand haben sie sich gewöhnt, sagt Kristina: an die Explosionen von der Gegend um den Flughafen, die auch jetzt noch gelegentlich in die Stadt schallen. An die Ausgangssperre, wegen der es kaum noch Kinos und Konzerte gibt. „Stattdessen treffen wir uns zu Hause“, sagt Kristina. „Und wir lesen jetzt viel mehr.“
Sergej stehen demnächst die letzten Abi-Prüfungen bevor, und zwar an zwei Schulen: „Real“ an seiner alten Schule in Donezk, und virtuell an einer Schule in der von den Ukrainern kontrollierten Stadt Slowjansk. Prüfungen finden per Skype statt. Sergej sichert sich wie viele seiner Freunde auf diese Weise mit einem regulären ukrainischen Abitur ab: Was ist ein Schulabschluss der von keinem Staat der Welt anerkannten Donezker Volksrepublik noch wert?
Bald werden sich die Wege des Pärchens trennen. Nach dem Sommer will Sergej ins russische Rostow oder, wenn das Geld reicht, nach Warschau. „Die Ukraine hat keine Zukunft“, ist er überzeugt.