Die Welt von Günter Grass
Danzig (n-ost) Weit hat er es gebracht, der Mann, der detailversessen „gegen das Vergessen“ anschrieb und der versuchte, sich „schreibend das wiederherzustellen, was verloren war“. 1999 erhielt Günter Grass den Nobelpreis für Literatur. Und das deutsche Danzig, das 1945 unterging, wurde durch seine Romane unsterblich. Danzig und Grass, das ist eine Ehe, die mit der „Blechtrommel“ 1959 stürmisch geschlossen, durch „Katz und Maus“ und „Hundejahre“ vertieft, durch den „Butt“ und „Unkenrufe“ wieder aufgefrischt wurde und 2002 „Im Krebsgang“ einen dritten Frühling erlebte.
Grass kann nicht ohne die Stadt, in der er am 16. Oktober 1927 als Sohn eines deutschen Gemüsehändlers und einer Kaschubin geboren wurde. Und Danzig wäre ärmer ohne die gerissene Tulla Pokriefke, ohne den Großen Mahlke, ohne den Scheuchenbauer Eduard Amsel und ohne Oskar Matzerath. Deren Adressen sind uns durch Grass verbürgt, genau wie die Schauplätze ihrer Abenteuer. Der Stockturm am Königsweg, von dessen Spitze Oskar die Fenster des Theaters (heute ein Neubau) zersang. Genauso wie der Strand von Brösen/Brzezno, wo Brausepulver geleckt, mit Pferdeköpfen Aale gefangen wurden und wo das polnische Schiffswrack auf Grund lag (Tram 13 bis Endstelle).
Wer Grass nahe kommen will, muss raus nach Langfuhr/Wrzeszcz (mit der S-Bahn drei Stationen). Kurz vor dem Bahnhof Wrzeszcz sieht man auf der linken Seite den Backsteinturm der Herz-Jesu-Kirche. Hier wurde Günter Grass getauft. Hier beichtete in der "Blechtrommel" Mutter Matzerath und hier kletterte Oskar auf einen Marienaltar (Seitenschiff rechts). Gewohnt haben Grass und seine Figuren auf der anderen Seite der Gleise. Hier öffnet sich bis heute eine skurril-kleinbürgerliche Welt in Schwarz und Weiß. Der Kohlenstaub hat sich tief in die alten Stuckfassaden gegraben. Umso mehr leuchten die weißen Fensterrahmen.
Hinter der Bahnhofsunterführung sieht man geradeaus ein Tor, das noch die Aufschrift „Kleinhammerpark“ ahnen lässt. In ihm findet man auch ein Stück Strießbach, der zusammen mit Malzgeruch von der Aktienbrauerei (heute Hevelius) herüberkommt. Zu Tulla, die durchtriebende, spindeldürren Figur aus den "Hundejahren" und "Im Krebsgang", geht es rechts die ul. Wajdeloty entlang und dann gleich links in die ul. Grazyny. Hier in der alten Elsenstraße 19 wohnten Tulla, Harry Liebenau und der rassereine Schäferhund "Harras", dessen Sohn "Prinz" im Grand Hotel von Zoppot an Adolf Hitler verschenkt wurde, wie wir aus den "Hundejahren" wissen.
Mit etwas Fantasie kann man die dürre Tulla am Ende ihrer Straße in einem Brunnen (Plac Wybickiego) tanzen sehen. Verbürgt ist, dass seit dem Jahr 2000 der Blechtrommler Oskar hier sitzt. Allein auf einer Bank. Und wo ist Grass? Zusammen mit Oskar hat er im Labesweg/ul. Lelewela 13 gewohnt (am Ende von Tullas Elsenstraße rechts). Eine Tafel markiert dort den alten Gemüseladen. Mehr nicht. Eigentlich sollte Grass ja als Denkmal neben Oskar Platz nehmen. Doch der Autor übermittelte der Stadt andere Wünsche: „Modernisieren sie mit dem Geld lieber die Toiletten in meinem alten Haus.“
Andreas Metz