Moldawien

Gagausiens Sehnsucht nach Russland

Die linke Hand hat Irina Vlah wie eine alte Genossin zur Faust erhoben. Siegessicher blickt die Kandidatin von dem Wahlplakat auf dem Lenin-Boulevard. Vlah verspricht die Zukunft „gemeinsam mit Russland“ zu bestreiten. Doch nicht in Moskau oder einer russischen Kleinstadt kämpft die Politikerin um die Wählergunst, sondern im Süden der Republik Moldau.

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Hinter den Spielenden Kindern reckt Irina Vlah, die
Siegerin der Gouverneurswahlen in Gagausien, auf
einem Wahlplakat ihre Faust in die Höhe / Foto: Ramin
Mazur, n-ost

Die autonome Region Gagausien hat am Sonntag ein neues Oberhaupt für die Hauptstadtregierung in Comrat gewählt. Mehr als 50 Prozent der Gagausen haben der formal unabhängigen, aber von Moskau gestützten Irina Vlah die Stimme gegeben. „Gagausien hat sich für Stabilität, gute Beziehungen zwischen Comrat und Chisinau und eine gute Partnerschaft mit der Russischen Förderation ausgesprochen“, sagte Vlah nach dem Wahlsieg.
Die moldauische Zentralregierung in Chisinau wird diese Ansicht kaum teilen. Für sie bringt das gagausische Ergbenis erhebliche Hürden für eine weitere EU-Integration.

Das christliche Turkvolk der Gagausen bewohnt knapp 2.000 Quadratmeter im Süden der Republik Moldau. Seine Vorfahren stammen wohl aus dem heutigen Bulgarien. Die Gagausen sprechen Gagausisch unter sich und Russisch mit den anderen. Um keine zweite blutige Sezession zu riskieren, akzeptierte die Zentralregierung in Chisinau 1994 die gagausischen Autonomieforderungen. Zuvor hatte sich Transnistrien, der Landstreifen rechts des Dnister-Flusses, nach dem Ende der Sowjetunion für unabhängig erklärt. Es lebt heute in der Abtrünnigkeit und von Moskaus Gnaden

Wirksames Druckmittel

Soweit ist es bei den 170.000 Gagausen nicht gekommen: Zwar fährt Comrat in der Autonomie eine eigene Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik, die Sicherheitsbelange und Außenpolitik liegen jedoch weiterhin in Chisinau.

Doch die gagausische Sehnsucht nach Russland steigt, je deutlicher die Abhängigkeiten werden. Schon im Februar 2014 hat sich die überwiegende Mehrheit der Gagausen für den Beitritt zur russischen Zollunion – seit Januar Eurasische Wirtschaftsunion – ausgesprochen. Es ist das russische Parallelprojekt zur Europäischen Union. Im Gegenzug hat die russische Führung den aktuellen Importbann auf moldauische Lebensmittel für gagausische Produkte aufgehoben. Dieser Schritt hat den gagausischen Bauern und der Region insgesamt das Leben gerettet. Die Landwirtschaft als einzig nennenswerter gagausischer Wirtschaftszweig führt ihre Produkte – vor allem Wein – traditionell nach Russland aus.

Chisinau hat das Zollunion-Referendum nicht anerkannt, da es der moldauischen Verfassung widerspricht. Ignorieren kann die Regierung die Stimmungslage nicht. Comrat hat nun ein wirksames Druckmittel für die Umsetzung gagausischer Wünsche und gegen den Hauptstadt-Kurs in der Hand – besonders bei weiteren EU-Fantasien der Zentralregierung. Und wer kann ausschließen, dass die gagausischen Forderungen nicht von Moskau diktiert werden: Der russische Präsident Wladimir Putin nutze „Gagausien als Hebel gegen das Pro-EU-Lager in Chisinau“, sagt etwa der Osteuropaexperte Stefan Troebst von der Universität Leipzig.

Trotzdem sind viele Probleme der Moldau hausgemacht: Ein Zirkel aus Oligarchen kontrolliert das Land und torpediert die Reformbemühungen. Dass die EU-Kommission 2014 ihre Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen gesetzt hat, dürfte eher dem geopolitischen Chaos in der Region, denn einem Modernisierungsprozess der Zentralregierung geschuldet sein. Brüssel wollte mit Blick auf die Ukraine ein Signal an Moskau senden. Am Wochenende haben die Gagausen ihre Antwort darauf an Chisinau überbracht.

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Quellen:

Gespräche mit Stefan Troebst, Osteuropaexperte Universität Leipzig, Friedrich Ebert Stiftung in Bukarest und dem moldauischen Think Tank "Viitorul"

www.publika.md

www.gagauzia.md


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