„Athen bietet endlich seine Stirn“
Den unteren Teil ihres Kleiderschrankes hat Vicky in eine Art Notreserve verwandelt, aus Angst vor einem Kollaps der griechischen Wirtschaft und leeren Regalen in den Supermärkten: Konserven, Mehl, Nudeln und Reis stapeln sich in dem kleinen dunklen Raum unter ihrer Bettwäsche.
Doch in letzter Zeit hat sich die Rentnerin etwas entspannt. Gerade bereitet sie in ihrer kleinen Küche das Mittagessen vor. „Schlimmer als mit der vorigen Regierung kann es nicht werden”, sagt die 67-Jährige. Zwar hat sie wie in den vergangenen fünf Jahren immer noch Angst vor einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands.
Diesmal kümmere sich die Regierung aber um die kleinen Leute, meint sie zuversichtlich. „Griechenland hat wieder eine Stimme bekommen. Und die Deutschen können es nicht akzeptieren, dass wir nicht mehr alles hinnehmen, wie es die vorigen Regierungen gemacht haben.“
Trotz der angespannten Stimmung zwischen Athen, Brüssel und Berlin schätzt die Mehrheit der Griechen die Politik ihrer Regierung als positiv ein. Laut einer aktuellen Studie im Auftrag der Athener Industrie- und Handelskammer sind 53 Prozent der Befragten zufrieden mit der Art, wie die griechische Regierung um neue Rettungspakete verhandelt. 34 Prozent dagegen unzufrieden.
Auf die Frage, ob es zu einem Kompromiss mit den Gläubigern kommen sollte, falls die Verhandlungen scheitern, antworten 47 Prozent mit „Ja”. 38 Prozent haben nichts gegen einen Bruch. Laut derselben Studie glauben zum ersten Mal seit vier Jahren wieder mehr Griechen daran, dass es der Wirtschaft bald besser gehen wird. Besonders populär ist nach wie vor Alexis Tsipras: Laut einer Umfrage des Instituts Public Issue haben 79 Prozent eine positive Meinung über ihren Premierminister, nur 20 Prozent eine negative.
Gemischt ist dagegen das Verhältnis der Griechen zu ihrem Finanzminister Yanis Varoufakis, der erst kürzlich auf seiner Dachterrasse für eine glamouröse Fotoserie posierte. Nur knapp 60 Prozent sprechen ihm ihr Vertrauen aus, 40 Prozent haben kein Vertrauen in den Minister.
„Varoufakis ist ein Störfaktor für die deutsche Regierung. Deswegen wird auch schlecht über ihn in Deutschland geredet“, meint Katerina, eine 40-jährige Arbeitslose aus Athen. Sie findet aber auch das Verhalten von Finanzminister Wolfgang Schäuble extrem. „Die deutsche Regierung will den Eindruck vermeiden, dass sie den Forderungen der Griechen nachgibt. Sie fürchtet, dass auch andere Länder dem Beispiel Griechenlands folgen werden”, meint sie. Auf die Umsetzung der Wahlversprechen wartet sie mit Geduld. „Diese Regierung ist nicht einmal zwei Monate im Amt. Wir können weder Wunder erwarten noch, dass sie binnen weniger Wochen alle Fehlschläge der vorigen Regierungen korrigiert“, so Katerina.
Die Art, wie Finanzminister Yanis Varoufakis die Interessen Griechenlands im Ausland vertritt, gefällt Giorgos, einem Angestellten in der Tourismusbranche, obwohl er nicht für diese Regierung gestimmt hat und von Anfang an skeptisch war. Doch die Forderung nach Reparationszahlungen findet Giorgos falsch. „Athen setzt damit genau wie Berlin auf Populismus. Wir erwecken den Eindruck, dass wir nur Geld wollen, weil es uns schlecht geht”, so Giorgos.
Angeliki, eine 27-jährige Selbständige, die 2011 ein Aufbaustudium in Deutschland abgeschlossen hat, sieht mit Erleichterung, wie die griechische Regierung Berlin die Stirn bietet. „Ich habe volles Vertrauen in sie und wäre froh, wenn sie nur zehn Prozent von dem, was sie versprochen hat, umsetzt”. In Deutschland wurde sie erniedrigend behandelt, weil sie eine Griechin war, erzählt sie verbittert.
Dies hatte mit der negativen Berichterstattung und den Stereotypen über die Griechen zu tun, meint Angeliki. „Deutschland versucht, jetzt Zeit zu gewinnen, und Griechenland profitiert davon“, meint die junge Frau. Wenn sie wieder mal in Deutschland ist, wird sie jetzt wieder den Menschen direkt in die Augen schauen können, sagt sie stolz.