Separatisten mit deutschem Pass
Alexej Relke, 42, gehört zu denen, die sich in Deutschland nie eingefunden haben. In seiner Heimat galt er als Deutscher, hier als der Russe. Dabei war Relke genau genommen sogar Ukrainer. Relke kam 1990 siebzehnjährig mit seiner Mutter aus der Ostukraine nach Koblenz. Er arbeitete auf Baustellen, hatte aber immer wieder Probleme mit der Polizei. 2006, nach einer gescheiterten Ehe, kehrte er zurück nach Stachanow im Gebiet Luhansk und gründet dort eine neue Familie. Relke versuchte es mit allerlei Geschäften, aber in der ärmlichen Gegend ist nicht viel zu holen.
Im April dann schlägt Relkes große Stunde. Er gehört zu den Schlüsselfiguren des bewaffneten Aufstandes gegen die Kiewer Regierung in Luhansk. Er und einige andere Rädelsführer werden zunächst vom ukrainischen Geheimdienst festgenommen, weil bei ihnen ein großes Waffenarsenal gefunden wird. Unter dem Druck der Bürger werden sie kurze Zeit später wieder freigelassen. Daraufhin stürmen er und seine Leute das lokale Hauptquartier des Geheimdienstes und die dortige Waffenkammer und sind damit schwer bewaffnet.
Selbstbild: Moderner Robin Hood
Relke, ein bulliger Typ, aber mit weichen Gesichtszügen, sieht sich als ein moderner Robin Hood: Leicht schwäbelnd, mit einer Kalaschnikow um den Hals, erklärt er vor der Kamera, er werde „kämpfen gegen alle, die versuchen, uns zu unterdrücken.“ Relke berichtet, er habe in einer russischen Spezialeinheit gedient und über die vergangenen Jahre immer wieder an Spezialoperationen in verschiedenen Ländern teilgenommen. Wo genau, darüber müsse er schweigen. Dabei war Relke schon mit 17 nach Deutschland gekommen – es gibt berechtigte Zweifel, dass dieser Teil seiner Geschichte stimmt.
Relke avanciert damals bald zum Kommandeur der „Armee des Südostens“, aber am 16. Mai geht er einem Spezialkommando des ukrainischen Geheimdienstes ins Netz. Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow nennt ihn einen der „radikalsten Terroristen“, auch das wiederum eine Übertreibung.
Kein Einzelfall
Während Relke nun in Kiew in Untersuchungshaft sitzt, wird der Krieg in der Ostukraine immer heftiger. Der Versuch der Kiewer Regierung, den Konflikt militärisch zu lösen, endet mit einer schweren Niederlage, bei der mehrere hundert Ukrainer in Kriegsgefangenschaft geraten. Beim folgenden Gefangenenaustausch kommt Relke frei – und kehrt zurück in den Donbass.
Im Oktober vergangenen Jahres gab es erste Meldungen über Leute wie Relke: аus der Sowjetunion eingewanderte „Volksdeutsche“, die sich den Separatisten in der Ukraine anschließen. Damals war laut der „Süddeutschen Zeitung“ ein Bundeswehrsoldat aus Niedersachsen in die Ostukraine geflohen. Der 1991 in der Sowjetunion geborene Fallschirmspringer war kurz zuvor aus dem Dienst entlassen worden, weil er wegen einer Vergewaltigung zu drei Jahren Haft verurteilt worden war.
Deutsche Behörden dementieren
Unklar ist die Zahl der Separatisten mit deutschem Pass. Die „Welt“ hat angeblich mehr als ein Dutzend deutscher Staatsbürger identifiziert, die in der Ostukraine kämpfen, allerdings nennt sie nur vier namentlich. „Nach Schätzungen deutscher Sicherheitsbehörden“, wie es in der „Welt“ heißt, sollen mindestens einhundert Deutsche im Dienst der Separatisten stehen.
Diese Schätzung, die offenbar aus den Geheimdiensten stammt, scheint allerdings sehr hoch, ähnlich wie eine andere Zahl der Geheimdienstler aus dem Februar: Damals war unter Berufung auf „Sicherheitskreise“ von 50.000 Opfern des Konfliktes in der Ostukraine berichtet worden – obwohl die offiziellen Zahlen der UN etwa zehnmal niedriger sind. Die deutschen Behörden spielten den Bericht der „Welt“ am Montag herunter: Das Außenministerium erklärte, man verfüge über „keine belastbaren eigenen Erkenntnisse zu dem Thema“, das Verteidigungsministerium ließ wissen, es verfüge nicht über Informationen, dass in der Ostukraine ehemalige Bundeswehrsoldaten im Einsatz seien oder gewesen seien.
Auch Kämpfer aus anderen Ländern
Alexander Schutschkowskij, der in Russland den Transport von Freiwilligen in den Donbass organisiert, erklärt gegenüber n-ost, seit Beginn des Konfliktes seien über ihn lediglich fünf deutsche Staatsbürger in den Donbass eingereist, um sich dort dem bewaffneten Kampf anzuschließen. Andere Freiwillige aus Russland, die auf Seiten der Separatisten kämpfen, berichten von einzelnen Bekanntschaften mit „Wolgadeutschen“, wie sie dort heißen.
Mark Bartalai, ein deutscher Journalist, der seit acht Monaten aus den „Volksrepubliken“ berichtet und über gute Kontakte zu den Separatisten verfügt, schätzt die Zahl der Deutschen eher auf zehn bis zwanzig. Auf der von Ukrainern betriebenen Seite „lostivan.com“, auf der Erkenntnisse über Ausländer gesammelt werden, die in der Ostukraine kämpfen, sind Kämpfer aus Serbien, Spanien, Italien, Frankreich, Norwegen und sogar Brasilien dokumentiert, kein einziger dagegen aus Deutschland.
Ähnliche Hintergründe wie IS-Rekruten
Ähnlich wie die deutschen Dschihadisten, die sich dem „Islamischen Staat“ anschließen, sind auch die Russlanddeutschen im Donbass Menschen, die zu Hause wenig hält, und die sich nach der Romantik des Krieges sehnen, in dem sie – nach eigener Überzeugung – für das Gute und gegen das Böse kämpfen. Bei den Russlanddeutschen kommt hinzu, dass sie über russische Medien ein ganz anderes Bild der Ereignisse in der Ukraine bekommen als der gewöhnliche Bundesbürger. Das lässt sich auf ihren Seiten in den sozialen Netzwerken ablesen: Dort posten sie Berichte über Gräueltaten der „ukrainischen Faschisten“, Nahaufnahmen von zivilen Opfern des Krieges in der Ostukraine und Karikaturen über die westliche Politik gegenüber der Ukraine.
Zu den Separatisten, oder zur „Volkswehr“, wie sie sich selber nennen, gehört auch der 21-jährige Russlanddeutsche Nikolaj Blagaderow. Vor zwei Jahren hat er in Essen seinen Hauptschulabschluss gemacht, im vergangenen Sommer dann war er in den Donbass gegangen. Blagaderow hat im russischen sozialen Netzwerk „Vkontakte“ die Gruppe „Neurusslandinfo“ gegründet, die immerhin knapp vierhundert Mitglieder zählt, und wo die Separatisten ihre Sicht des Krieges vermitteln. Auf seiner eigenen Seite postet er gerne Bilder von sich in heldenhafter Pose: in Camouflage und mit der Kalaschnikow im Anschlag.
"Glücksritter" statt Hartz IV
Ein weiterer ist der 23-jährige Simon Schmidt aus Hanau, der seit dem vergangenen Herbst in Donezk auf Seiten der Separatisten im Bataillon „Wostok“ kämpft. Ihn hatte die ARD vor kurzem ausfindig gemacht: Der ehemalige Elektriker zeigt sich auf seiner Facebook-Seite zusammen mit zwei anderen Separatisten an einem mit Sandsäcken befestigten Checkpoint.
Die drei in Camouflage lächeln gut gelaunt in die Kamera, um den Hals trägt jeder seine Kalaschnikow. Er sei bereit, hier zu sterben, erklärt Schmidt in der ARD. Dass er für das Richtige kämpft, sei ihm klar geworden, als er zum ersten Mal die Leichen von Rentnern gesehen habe, die durch Granatbeschuss von Seiten der Ukrainer getötet wurden.
Alexej Relke, der „erste“ Deutsche im Donbass, liegt momentan in einem Krankenhaus in der Stadt Stachanow – bei den Kämpfen um Debalzewo im Februar wurde er verletzt. Über die Kämpfer aus Deutschland sagt er: „Das sind Glücksritter. Die wollten nicht mehr mit Arbeitslosenhilfe in Deutschland sitzen, sondern kommen lieber hierher.“ Er sei ja mit gutem Beispiel vorangegangen.