Serbien

Verlorenes Vaterland Jugoslawien

ostpol: In „Vaterland“ erzählen Sie, wie Sie 1975 mit Ihrer Mutter und Schwester vor Ihrem Vater aus Ihrem Geburtsland Kanada nach Jugoslawien geflohen sind, und wie es dazu kam. Wie ist das Buch entstanden?

Bunjevac: Mein früheres Buch „Heartless“ enthielt bereits den Comicstrip „August 1977“ über die letzten drei Stunden im Leben meines Vaters. Er war in Kanada Mitglied einer serbischen antikommunistischen Terrorgruppe. Er starb, zwei Jahre nachdem wir vor ihm geflohen waren, beim Basteln einer Bombe. Als das Buch in Serbien erschien, erregte besonders diese Geschichte viel Aufmerksamkeit, und ich hielt es für eine gute Idee, sie auszubauen.


Sie lebten mit Ihrer Mutter und Ihrer Schwester bis zu Ihrem 16. Lebensjahr im ehemaligen Jugoslawien und gingen dann nach Kanada zurück. Für wen haben Sie „Vaterland“ geschrieben?

Bunjevac: Es ist für meine Freunde im ehemaligen Jugoslawien geschrieben. Mich inspirierte, wie die dortige Comicszene – auch während des Krieges – zusammenarbeitete und sich nicht vom Hass anstecken ließ.


Einmal Kanada-Jugoslawien und zurück. Was ist für Sie Ihr „Vaterland“?

Bunjevac: Ich muss zugeben, dass ich mich eigentlich an keinem Ort wirklich „zu Hause“ fühle. Der einzige Ort, der sich nach „Vaterland“ anfühlte, war das Jugoslawien, in dem ich aufgewachsen bin – und das es heute nicht mehr gibt. Abstrakter gesprochen sind meine Freunde meine Heimat, und die sind in Kroatien, Serbien und auf der ganzen Welt verteilt.



Nina Bunjewac / Foto: David Hawe
Nina Bunjevac / Foto: David Hawe


Zur Autorin:

Nina Bunjevac wurde 1974 in Kanada geboren. Mit einem Jahr floh sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester vor dem Vater, der in Kanada einer serbischen antikommunistischen Terrororganisation angehörte, nach Jugoslawien. Erst 1990, 13 Jahre nach dem Tod ihres Vaters bei einer Bombenexplosion, kehrte sie nach Kanada zurück. Mit „Vaterland“ veröffentlicht sie nun ihre erste full-length Graphic Novel.


Jetzt möchte Serbien EU-Mitglied werden, aber auch „Russlands bester Freund“ bleiben und sich beispielsweise nicht an Sanktionen beteiligen. Auf welchem Kurs sehen Sie das Land?

Bunjevac: Das Vorgehen von Präsident Nikolic ist auch für mich ein großes Rätsel. Ich denke aber, dass die Antworten für Serbien weder in der EU noch in Russland liegen. Das Land sollte neutral bleiben und eine stärkere Anbindung an andere ex-jugoslawische Republiken suchen. Es gibt so viele Ressourcen und vor allem junge Talente, die das Land verlassen haben und im Westen ausgebildet wurden. Serbien sollte sich attraktiv machen für diese Leute, damit sie zurückkommen und ihr Land wirtschaftlich und kulturell unterstützen!


Könnten Sie sich vorstellen, zurückzukommen?

Bunjevac: Ja, aber wahrscheinlich nicht nach Serbien. Vielleicht nach Istrien, das hat den Krieg nicht gesehen. Der Nationalismus war dort zu Ende, bevor er überhaupt richtig anfing. Es tut zwar auch jedes Mal weh, wenn ich nach einem Aufenthalt in Belgrad wieder nach Hause nach Kanada fliege, aber es wäre schwer für mich, in einer Stadt zu leben, in der es Leute gibt, die Hass und Homophobie predigen. Ich sähe gerne mehr Freundlichkeit, wofür die Bewohner des Balkan eigentlich bekannt sind.


Was war die größte Herausforderung beim Schreiben von „Vaterland“?

Bunjevac: Der Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg, der für das Verständnis der Geschichte von zentraler Bedeutung ist. Es gibt da ziemlich viele heikle Themen. Aber es ist auch ein sehr wichtiges Thema, da es im ehemaligen Jugoslawien teilweise revisionistische Tendenzen gibt. Ich glaube, es war 2008, als das Bild von Milan Nedic, Kopf der serbischen Marionettenregierung während des Zweiten Weltkrieges, wieder im Parlament aufgehängt wurde. Wir sollten über diese Zeit sprechen und zwar möglichst objektiv.


Worin liegen die Vor- und Nachteile, sich einem solchen Thema als Graphic Novel zu nähern?

Bunjevac: Der einzige Nachteil ist, dass mein Zeichenstil sehr aufwendig ist. Aber es überwiegen die Vorteile. Die Kombination des sprachlichen Erzählens mit dem Visuellen reizt mich sehr. Ich habe viele Fotos als Vorlage benutzt, um die Geschichte verständlicher zu machen. Für mich ist „Vaterland“ wie ein erweitertes Familienfotoalbum...


…in dem allerdings die späteren Fotos ihres Bruders Petey fehlen. Er musste, als sie flohen, bei seinem Vater in Kanada bleiben. Vom Hass des Vaters angesteckt, sagte er nach dessen Tod, lieber sterben zu wollen, als ins kommunistische Jugoslawien zu emigrieren. Was wurde aus ihm?

Bunjevac: 1985, als ich 12 Jahre alt war, besuchte er uns dann doch in Jugoslawien. Wir sind uns später auch wieder näher gekommen, aber was den Rest angeht, müssen sich die Leser gedulden, bis der Folgeband von „Vaterland“ erscheint.


92


    

 
Nina Bunjevac
Vaterland - Eine Familiengeschichte zwischen Jugoslawien und Kanada
avant-Verlag
156 Seiten, schwarz-weiß , Hardcover mit Leinenrücken
ISBN: 978-3-945034-16-3
24,95 Euro


Weitere Artikel