Ukraine

Fußballhelden ohne Heimat

Es ist eine Rückkehr, die eigentlich keine ist. Seit dem Sommer ist der Stürmer Oleksandr Hladkyi wieder bei seinem alten Klub „Schachtjor Donezk“ unter Vertrag. In Donezk hat Hladkyi seither aber nicht gespielt. Seit in der Ostukraine der Krieg tobt, werden die Heimspiele vom ukrainischen Meisterklub „Schachtjor Donezk“ im 1.200 Kilometer entfernten Lwiw ausgetragen – ausgerechnet dort, wo Hladkyi schon die letzten Jahre kickte: beim Rivalen Lwiw Karpaty.

Jetzt sitzt Hladkyi in einem noblen Hotel in Kiew. Hier wohnen die Fußballspieler von Donezk. Die ukrainische Hauptstadt liegt auf halber Strecke zwischen der alten und der neuen Heimstätte des Klubs. Was anfangs als eine Notmaßnahme für einige Wochen oder Monate getroffen wurde, ist zum Dauerzustand geworden. Viele Spieler haben sich darauf bereits eingestimmt und Wohnungen in Kiew gemietet.

Hladkyi selbst kommt aus der ostukrainischen Oblast Charkiw, wo es derzeit friedlich ist. Seine Frau aber ist aus Donezk. Der Krieg in der Ostukraine ist ständiges Thema unter den Spielern, sagt er: „Wir haben viele Freunde und Verwandte, die noch dort sind. Wir leben in ständiger Sorge.“ Mit einer Pause fügt er hinzu: „Aber wir sind ja Profis. Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht. Wir werden unser Bestes geben, um unsere Fans, die noch in Donezk leben, an unserem Spiel zu erfreuen. Nur damit können wir ihnen helfen“, ist er sich sicher.


Meisterschaft in Gefahr

Spieler und Funktionäre geben Durchhalteparolen aus, aber der Konflikt zehrt an der Substanz. Trainiert wird in Kiew – aber die Trainingsflächen des Erzrivalen Dinamo Kiew darf der Klub nicht nutzen. In der Meisterschaft liegt Schachtjor mit sieben Punkten Rückstand nun schon recht deutlich hinter Dinamo zurück. Den Donezker droht, die ukrainische Meisterschaft zum ersten Mal seit sechs Jahren zu verlieren. „So etwas wie Chancengleichheit gibt es nicht“, machte Trainer Mircea Lucescu zuletzt seinem Ärger in einem Interview Luft. „Es ist sehr schwer, eine Meisterschaft unter diesen Bedingungen zu spielen. Klubs aus dem Norden und der Zentralukraine sind derzeit klar im Vorteil.“ Immer wieder machen Transfergerüchte die Runde, die jedoch umgehend dementiert werden.

Der Klub ist stark in der Identität des Donezker Beckens – des Donbass – verwurzelt. „Schachtjor“ – das steht für „Bergarbeiter“, dem wichtigsten und traditionellsten Wirtschaftszweig in der umkämpften Region. Der Klub ist der Stolz der Region und erzählt auch die Geschichte vom Aufstieg des Oligarchen Rinat Achmetow. Achmetow übernahm den Klub 1996 und baute ihn zum Superklub auf. 13 brasilianische Spieler sind bei Schachtjor unter Vertrag. Der sonst medienscheue Achmetow ließ sich von seiner Ehrentribüne aus kaum ein Heimspiel seiner Mannschaft entgehen. Doch sein Imperium bröckelt: Der „Pate des Donbass“ hat seit Ausbruch des Krieges viel seines Vermögens verloren. Zudem wird ihm vorgeworfen, die Separatisten unterstützt zu haben. Die ukrainischen Behörden sollen bereits gegen ihn ermitteln.

Gerade in Lwiw hatte Schachtjor Donezk anfangs kein leichtes Spiel: Ausgerechnet in der Hochburg des ukrainischen Nationalismus sollte der Klub der „Bergarbeiter“ spielen. Immer wieder wurde von Spannungen berichtet. Im November haben Fans vom ortsansässigen Klub Karpaty Lwiw ein Banner im Stadion ausgebreitet: „Haut ab aus Lwiw“. Die Lage habe sich laut Hladkyi seither jedoch beruhigt. „Wir haben mittlerweile eine gute Unterstützung in Lwiw.“ Die Spiele von Schachtjor Donezk seien zum Teil besser besucht als die von Karpaty Lwiw, sagt Hladkyi. „Weil jeder derzeit ja gut versteht, in welcher Situation wir hier in der Ukraine sind.“


Baldige Rückkehr ausgeschlossen

Doch selbst wenn die Waffen im Osten schwiegen, ist so schnell nicht an eine Rückkehr des Klubs in die alte Heimat zu rechnen: Der Flughafen – wichtig für internationale Anbindung – ist völlig zerstört. Das für die Fußball-Europameisterschaft erbaute Stadion „Donbass Arena“ ist auch stark mitgenommen – Granatsplitter haben die Fassade beschädigt, die Druckwelle einer Explosion hat das Dach angehoben. Dort wird derzeit kein Fußball gespielt, stattdessen werden Hilfsmittel verteilt.

Die Hoffnung will aber auch Hladkyi so schnell nicht aufgeben. „Natürlich möchte ich bald wieder in meinem Heimatstadion spielen, vor unseren Fans. Wir träumen alle davon, zurückzukehren. Und von einem Ende dieses Krieges.“

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Quellen:

Persönliches Interview mit Oleksandr Hladkyi in Kiew

Interview mit Trainer Mircea Lucescu

Spielerinfo Aleksandr Hladkyi


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