Zwischen Erleichterung und Ernüchterung
Sofia schaut gespannt die Abendnachrichten. Seit Wochen sitzt die 65-jährige Rentnerin jeden Abend vor dem Fernseher. Sie macht sich Notizen über Fristen und Ergebnisse der Verhandlungen Griechenlands mit seinen Gläubigern.
Dass die Regierung von Alexis Tsipras unter Druck der EU-Partner einen Teil ihrer Wahlversprechen beiseite lassen musste, damit hatte sie schon gerechnet, als sie dem Linksbündnis Syriza ihre Stimme gegeben hat. Auf einen regelrechten Bruch mit Europa hatten sich weder die Athener Regierung noch die Griechen selbst vorbereitet, meint sie.
„Jetzt haben wir erst mal vier Monate Zeit bekommen, um den EU-Partnern zu zeigen, dass wir es ernst meinen mit der Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung“, sagt Sofia stolz. „Außerdem haben wir den Weg dafür geebnet, dass die Sparpolitik in ganz Europa überdacht wird“.
Junge Generation in Sorge
Neben Sofia sitzt ihre Tochter Xenia, die sie seit mehr als einem Jahr arbeitslos ist. Xenia stimmt ihrer Mutter zu. Insbesondere die junge Generation wäre nicht auf eine Notsituation vorbereitet, falls kein Geld mehr aus den Bankautomaten flösse und das Land im Chaos versänke. „Ich will so etwas nicht erleben”, sagt die junge Frau. Ihr geht es hauptsächlich darum, eine Arbeitsstelle zu finden, um endlich auf den eigenen Beinen stehen zu können, ohne Unterstützung ihrer Mutter.
Ob die Reformliste, die die Regierung am Dienstag der Eurogruppe vorgelegt hat, auch eine Erleichterung für die notleidenden Griechen bringt, ist noch unklar. Um die Folgen der Krise für die Bevölkerung zu bekämpfen, braucht die Regierung elfeinhalb Milliarden Euro. Den Plan dafür hatte Regierungschef Alexis Tsipras in seinem sogenannten „Thessaloniki-Programm“ bereits vor der Wahl vorgestellt.
„Kann das Programm mit den Mitteln, die jetzt vereinbart wurden, umgesetzt werden?“, fragt der Kolumnist Giannis Kibouropoulos in der regierungsnahen linken Tageszeitung Avgi. Dies sei die entscheidende Frage, auf deren Grundlage sich griechische Durchschnittsbürger, aber auch linke Skeptiker die Verhandlungen und Kompromisse bewerten werden, meint er.
Griechenland als schwächstes Glied in der Kette
Zwar versicherte Premierminister Alexis Tsipras, dass das aktuelle Übereinkommen mit den Gläubigern die verbindlichen Zusagen der Vorgängerregierung für Renten-Gehaltskürzungen, Entlassungen im Staatsdienst und Steuererhöhungen aufgehoben hat. Außerdem gäbe es nicht mehr die Forderung nach unrealistischen Primärüberschüssen, so Tsipras. Dabei handelt es sich um die Bilanz im Staatshaushalt, die entsteht, wenn die Zinsen ausgeklammert werden. Bisher war vorgesehen, dass Griechenland einen Primärüberschuss in Höhe von 4,5 Prozent der Wirtschaftsleistung erzielt. Die neue Regierung will jedoch nur 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen.
Der Verzicht auf die Forderungen nach Primärüberschüssen sei das Wichtigste, was die neue Regierung bei den Verhandlungen erreichen konnte, meint Stelios, ein 43-jähriger Angestellter. Nun darf Griechenland wahrscheinlich weniger Zinsen zahlen, damit würde mehr für den Staat übrig bleiben. Stelios hat bei den Wahlen zwar nicht für Tsipras gestimmt, er unterstützt aber wie viele Griechen dessen Bemühungen, die Lebensbedingungen für die Bürger zu verbessern.
Laut einer Umfrage, die noch vor dem Kompromiss mit der Eurogruppe durchgeführt wurde, beurteilen mehr als 80 Prozent der Griechen die Arbeit der neuen Regierung als gut. Stelios sieht das anders. „Wir sind weiterhin in einem Sparprogramm, und es gibt eine Troika, welche die Aufsicht hat, auch wenn sie jetzt anders genannt wird. Wir dürfen uns nichts vormachen“, sagt er erbittert. Griechenland sei eben das schwächste Glied in der Kette, habe eine Art Bettler-Status. Das Einzige, was die Regierung machen konnte, war, sich für Realismus zu entscheiden, betont er.
Realismus und Kompromiss
Die Sprüche über Realismus und Kompromiss machen auch Aphrodite zu schaffen. Die 38-jährige Bankangestellte gibt seit Jahren ihre Stimme den Linken. Sie war euphorisch, als diese endlich in die Macht kamen, obwohl sie den Run auf die Banken der letzten Wochen von innen erlebt hat. „Ich bin jetzt sehr besorgt. Ich fürchte, wir werden nur ein paar Krümel bekommen und alles wird wie vorher bleiben.“
Aphrodite wünscht sich, Griechenland hätte mehr Verbündete im Kampf um das Ende der Sparpolitik. „Die Regierungen in Spanien, Italien oder Portugal, die ebenfalls unter dem Sparzwang leiden, haben uns im Stich gelassen.“, sagt sie. Sie werde wieder anfangen zu hoffen, falls Podemos die Macht in Spanien gewinnt und auch andere sparkritische Parteien in Europa gestärkt werden. „Europa braucht noch mehr Politiker, die bereit sind, sich mit Brüssel anzulegen und dieser unsinnigen Sparpolitik ein Ende zu setzen“