Ukraine

Schachtjor Donezk: Superclub im Exil

Am Tag vor dem großen Spiel liegt liegt die „Arena Lviv“ einem Ufo gleich auf einem Feld am Rande einer Plattenbausiedlung draußen vor der Stadt. Frischer Schnee ist auf die Abdeckung des Rasens gefallen, wo am Dienstagabend Underdog Schachtjor Donezk gegen den übermächtigen FC Bayern antreten wird. Vor ein paar Wochen hat der Verein einen Fanshop eröffnet, dort gibt es einen Kalender für 2015, und jeden Monat gelobt ein Spieler, mit Filzstift aufs Porträt gekritzelt: „Wir kehren zurück nach Donezk.“

Doch dieser Club wird so bald nicht in seine Heimat zurückkehren. Denn dort herrscht Krieg. Und Schachtjor Donezk ist seit dem Sommer ein Superclub im Exil.

Fan zu sein heißt auf Russisch für eine Mannschaft zu „leiden“, und im Fall von Jewgenij Schogoljew ist das nicht untertrieben. 47 Jahre alt ist der Donezker Kohlekumpel, und vierzig davon ist er Fan von Schachtjor. Über die letzten Jahre hat er sich in Donezk mit seiner Privatsammlung von Programmheften und Eintrittskarten einen Namen gemacht. Schachtjor, das bedeutet „Bergmann“. Aber Bergmänner wie Schogoljew werden am Dienstag nicht in Lemberg dabei sein können.

„Die Umstände sind stärker als wir“, fasst er am Telefon die Lage mit echter Trauer in der Stimme zusammen. Dabei hatte er sogar schon eine Karte für das Spiel. „Aber die Lage ist gefährlicher geworden, und an den Checkpoints lassen dich die Ukrainer nicht mehr passieren“, sagt er. „Sie fragen: Ziel der Reise. Und wenn Du antwortest: Fußball. Dann glauben sie Dir nicht.“


Der Club heilt Wunden

Schachtjor, das war der Stolz von Menschen wie Schogoljew. Dem Oligarchen Rinat Achmetow, der den Club 1996 übernahm, gelang es, Brasilianer zu kaufen, einen Superclub zu formen, eines der teuersten Stadien Europas zu bauen und doch die Fans nicht zu verlieren, unter anderem, weil die Preise immer bezahlbar blieben. Der Erfolg des Teams heilte für viele Kohlekumpel die Wunden, die die postsowjetischen Zeiten ihrem Bergarbeiterstolz zugefügt hatten.

2009 holte Schachtjor gegen Werder Bremen den UEFA-Pokal 2009. Am 2. Mai vergangenen Jahres schoss Schachtjor sein letztes Tor in der Donbass-Arena und gewann damit seine fünfte Meisterschaft in Folge. Nur wenig später kam der Krieg nach Donezk, und so wie Achmetow flohen Spieler, Mannschaftsärzte, Pressesprecher und Manager nun nach Kiew. Seitdem ist das Team heimatlos, zu jedem Heimspiel müssen sie von Kiew nach Lemberg reisen.

Schogoljew hat sich das im September angeschaut. Zum Spiel gegen den FC Porto hat er sich auf den beschwerlichen Weg in den Westen des Landes gemacht, einmal quer durchs Land, 1236 Kilometer mit dem Auto. Und er hat verstanden, was der Unterschied ist: „Da singen sie pro Spiel zwanzigmal die Nationalhymne, als würde die ukrainische Nationalmannschaft spielen. Hier in Donezk lieben wir aber unsere Mannschaft. In Lemberg sangen die Ultras „Putin ist ein Schwanzkopf“, aber für uns hier in Donezk ist Russland kein Feind.“


Rückkehr für Jahre ausgeschlossen

Dass die Mannschaft nach Donezk zurückkehrt, ist für die nächsten Jahre ausgeschlossen. Selbst wenn sich die Separatisten mit Kiew einigen – der Flughafen der Stadt ist völlig zerstört, und ohne ihn ist die Stadt nur schwer zu erreichen. Noch viel weniger ist unter diesen Umständen an eine Genehmigung der UEFA zur Austragung von internationalen Spielen zu denken – und das ist die Klasse, in der Schachtjor sich sieht.

Nun also Lemberg. Es gibt objektive Gründe dafür. Der wichtigste: Die UEFA hat für die Austragung internationaler Spiele wegen der angespannten Situation nur die Arena Lwiw und das Kiewer Stadion zugelassen. Und Lemberg ist so weit wie nur möglich vom Kriegsgebiet entfernt.

Aber selbst in diesem ruhigen Lemberg ist der Krieg unübersehbar. Da sind die Soldaten und freiwilligen Kämpfer auf Fronturlaub. Da sind die Stellwände in der Garnisonskirche mitten im Zentrum, an denen schon Dutzende Bilder junger Männer hängen, die ihr Leben gelassen haben und deren Särge hier aufgebahrt wurden. Und da sind die zehntausenden Einberufungsbescheide der jüngsten Mobilisierungswelle, vor der hier viele junge Männer ins nahe Polen fliehen.

Jewgenij Schogoljew wartet derweil in der Ostukraine auf den morgigen Tag. Der Bergmann wird dann in Donezk seinen Fernseher anschalten und im Fernsehen das Spiel seines Clubs anschauen. Schogoljew wird hoffen, dass die beschlossene Waffenruhe dieses Mal echt ist und sein Haus nicht beschossen wird. Und am nächsten Morgen wird er auf dem Weg zur Arbeit wieder einmal an der Donbass-Arena vorbeifahren und ebenso hörbar ein- und wieder ausatmen wie jetzt am Telefon. Und an bessere Zeiten denken.


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